Reportagereihe "Team Wallraff" So unappetitlich geht es in deutschen Großküchen zu

Köln · Die neueste Folge der Reportagereihe "Team Wallraff" dokumentierte, wie unappetitlich und unhygienisch es in manchen deutschen Großküchen zugeht, die Gerichte für Kitas, Schulen und Pflegeheime produzieren.

 Essen in der Kantine ist oft Massenabfertigung. Ob die Qualität stimmt, zeigt sich im Einzelfall.

Essen in der Kantine ist oft Massenabfertigung. Ob die Qualität stimmt, zeigt sich im Einzelfall.

Foto: dpa

Journalist Günter Wallraff und seine RTL-Reporterkolleginnen Stefanie Albrecht und Düzen Tekkal ermittelten Undercover, dass sogar in einigen Fällen abgelaufene Waren verarbeitet werden, möglicherweise, um Kosten zu sparen. Ihre Recherchen zeigen auch, wie das Geschäft zwischen Sonderpostenhändlern und Großküchen funktioniert, die bei ihrer Massenproduktion beim Einkauf sparen wollen.

Rund 14 Millionen Menschen - vom Kindergartenkind bis zum Senior - essen täglich Gerichte, die in einer Großküche produziert werden. Das "Team Wallraff" wollte wissen, unter welchen Bedingungen die Verpflegung für die Schwächsten in unserer Gesellschaft - Kinder, alte und kranke Menschen - hergestellt wird und was in den verkauften Gerichten so alles enthalten ist.

Die Reporterin Stefanie Albrecht arbeitete dazu Undercover im Herbst und Winter des vergangenen Jahres in mehreren Großküchen. Erste Station: die Firma vitesca in Wuppertal (Tagesproduktion: bis zu 25 000 Mittagessen für Kindergärten und Schulen in Deutschland), die mit drei Kochmützen zertifiziert ist - der laut AG Schulverpflegung höchsten positiven Bewertung.

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Robin Masters (@Magnum_1975) 8. Juni 2015In ihrer Probewoche wurde sie gleich angehalten, schimmelige Gurken zu verarbeiten. Mehrfach entdeckte sie Waren, die nach dem Cook- und Chill-Verfahren (erst kochen, dann innerhalb von 90 Minuten auf 3 Grad runterkühlen) nicht ordnungsgemäß gechillt wurden, um eine mögliche Keimbildung auszuschließen.

Und sie fand diverse Fleischpackungen, deren gekennzeichnetes Verbrauchsdatum längst abgelaufen ist. Bei mehreren Kisten Bio-Hackfleich, einer leicht verderblichen Ware also, das zu "Chili con carne" verarbeitet werden soll, war das Verbrauchsdatum laut Kennzeichnung seit über neun Monaten abgelaufen! Eine Straftat, wie ein Anwalt für Lebensmittelrecht sagt.

[fotostrecke]In der Großküche der Duisburger Firma diversa, die täglich 600 Essen für Kindergärten und Grundschulen zubereitet, lernte Stefanie Albrecht, wie man dort zum Teil kocht, ohne zu Kochen: Im Rahmen eines Schnupperpraktikums erlebte sie, wie aus kalt zusammengerührten Zutaten wie Wasser, Tomatenpulver, Chilipulver, Dosengemüse und Soja-Hack ein "Chili sin Carne" zusammengerührt wurde, das erst in der Schule kurz vor der Ausgabe zum ersten Mal erhitzt wird.

So erkennen Sie gute Lebensmittel - und gehen richtig damit um
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Weil Günther Wallraff schon mehrfach auf die Qualität des Essen in den Häusern der Marseille Kliniken AG aufmerksam gemacht worden war, meldete er sich in einer ihrer Einrichtungen, dem Pflegeheim Amarita in Oldenburg, Undercover zum Probeessen an. Außerdem schleuste sich die RTL-Reporterin Düzen Tekkal dort als Küchenhilfe für ein Praktikum ein.

Sie erlebte dort diverse Nachlässigkeiten im Umgang mit der Lebensmittelverarbeitung und unhygienische Zustände. So sah sie mehr als einmal, dass Teller mit Essen oder Desserts, die aus dem Speisesaal zurückkommen, ungekühlt in der warmen Küche bereit gehalten wurden - ein Nährboden für Keime.

Darmkeime und Schimmelbefall

Dabei erschien ihr die Küche nicht sehr sauber. Heimlich nahm sie diverse Proben, um die Hygienebedingungen dort untersuchen zu lassen. Ein Lebensmitteltechniker stellte u.a. Darmkeime und Schimmelbefall fest.

Als "Team Wallraff" die Marseille Kliniken um eine Stellungnahme bat, bekam es zunächst statt einer Auskunft lediglich eine Rechnung über 293,69 Euro für den Aufwand, den sie betreiben müssten, um die Fragen zu beantworten. Erst nachdem die Zahlung verweigert wurde, erhielt Team Wallraff eine kostenlose Stellungnahme.

Woran man gutes Kantinenessen erkenntUm herauszufinden, wie Großküchen besonders kostengünstig an Waren gelangen, schlüpfte Günter Wallraff selbst in die Rolle eines Catering-Inhabers. Er traf verschiedene Lebensmittelgroßhändler und erfuhr, dass es spezielle Listen gibt, die nicht mehr frische oder kurz vor Ablauf des MHD stehende Waren zum Schnäppchenpreis anbieten.

Unterstützung bei ihren gut zehnmonatigen Recherchen erhielt das "Team Wallraff" von dem ehemaligen Lebensmittelkontrolleur Franz Voll, dem Fachanwalt Remo Klinger und der Ernährungswissenschaftlerin Alexa Iwan. Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, erklärt im Interview, warum der Bund bis heute nur freiwillige Qualitätsstandards vorgeben kann.

Skeptisch äußert er sich zu der schon häufiger gestellten Forderung, den Steuersatz für Schulessen von 19 auf 7 Prozent wie z.B. beim Tierfutter zu senken: "Wenn wir die Steuer nur reduzieren bei denen, die das gewerblich machen, ist die Frage, ob dann nicht noch billiger produziert wird, überhaupt nicht beantwortet." Immerhin will der Bundesminister die Recherchen zum Anlass nehmen, die Fragen rund um einheitliche Qualitätsstandards noch einmal im Kreis der Länderkollegen zu besprechen.

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