Keine Stolpersteine in München Schwierige Suche nach Gedenkformen

München · Die sogenannten Stolpersteine entzweien die Menschen in München seit Jahren. Für die einen ist es eine Chance, an NS-Opfer zu erinnern. Andere sehen die Namen der Ermordeten im Straßenpflaster in den Schmutz gezogen. Der Stadtrat lehnt die goldfarbigen Steine deshalb weiter ab.

In der Münchner Stadtgeschichte gibt es während der Nazi-Zeit viele unrühmliche Kapitel. Den 9. November 1938 etwa, als Propagandaminister Joseph Goebbels mit einer Rede im Alten Rathaus die Ausschreitungen gegen Juden in der Pogromnacht anfachte. Unverständlich erscheint es deshalb vielen, dass gerade in der ehemaligen "Hauptstadt" der NS-Bewegung keine sogenannten Stolpersteine im Straßenpflaster verlegt werden dürfen, wie sie schon in weltweit in weit mehr als tausend Städten an die Opfer des Nazi-Terrors erinnern.

Doch die Gegner der goldfarbenen Metalltafeln mit den eingravierten Namen der Opfer haben ihre Gründe: Sie wollen nicht, dass die Namen der Ermordeten erneut beschmutzt und mit Füßen getreten werden. Der Stadtrat lehnte die Stolpersteine deshalb am Mittwoch wie schon 2004 ab und beschloss stattdessen andere Formen des Gedenkens: Stelen auf Fußwegen, Gedenktafeln an Hauswänden und ein zentrales Denkmal, auf dem die Namen aller NS-Opfer der Stadt einen Platz finden sollen.

Zu den Stolperstein-Kritikern zählt Marian Offman. Viele aus seiner Familie wurden von den Nazis wegen ihres jüdischen Glaubens ermordet. "Die Demütigung der Menschen dort war so unendlich wie das Weltall: sie wurden ermordet, geschlagen, bestialisch. Wir können uns das heute nicht mehr vorstellen", sagte der CSU-Stadtrat. Er wolle nicht, dass diese Demütigung nun auch noch mit den Namen der Opfer in der Straße eingegraben werde.

So sieht es auch Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden und heute an der Spitze der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Sie hat die Schrecken der Nazizeit als Kind miterlebt. "Die im Holocaust ermordeten Menschen verdienen mehr als eine Inschrift inmitten von Straub, Straßendreck und schlimmeren Verschmutzungen", hatte sie im Dezember bei einer Anhörung des Stadtrats erklärt. "Vor meinem geistigen Auge sehe ich die Menschen, auf die man schon auf dem Boden liegend immer weiter eintrat und die mit schweren ledernen, stahlbekappten Stiefeln in die Transporter getreten wurden."

Eine nachvollziehbare Position, auch für viele Befürworter der Stolpersteine. Viele Angehörige etwa von politische Verfolgten sind dennoch enttäuscht. "Wir haben Widerstandskämpfer in der Familie", sagte Edith Grube aus München nach dem Stadtratsvotum. "Der eine ist erschlagen worden, der andere ist geköpft worden. Für die hätten wir gerne Stolpersteine verlegt."

Die Freiheit, dies zu verwirklichen, hätte sich auch die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen gewünscht, die die Zulassung gemeinsam mit der Rosa Liste beantragt hatte. Bei allem Verständnis für die Stolperstein-Kritiker: "Ich kann doch nicht stellvertretend für Familien sagen: Ihr müsst jetzt halt mit Stelen zufrieden sein, wenn ihr eigentlich was anderes wollt. Woher habe ich das Recht?", fragte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Florian Roth.

Das Besondere an den Stolpersteinen ist ihre Allgegenwärtigkeit, Alltäglichkeit, vor dem Haus der Nachbarn. Überall. Nur nicht in München.

Jan Böhmermann (@janboehm) 29. Juli 2015In vielen anderen Städten ist diese Form des Gedenkens Alltag. Meist werden die glänzenden Tafeln im Pflaster in Ehren gehalten - von Angehörigen, Jugendlichen oder Anwohnern. Prominente wie Günther Jauch zeigten sich im November 2013 am 75. Jahrestag der Pogromnacht mit Lappen und Putzzeug beim Säubern von Stolpersteinen in Berlin. Immer wieder werden Steine auch mit Blumen geschmückt.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, schätzt das Projekt. "Ich halte Stolpersteine unverändert für eine gute und auch würdige Form des Gedenkens", sagte er jüngst. Rund 400 gibt es in seiner Heimat Würzburg. "Da fällt mir schon auf, wie oft Menschen hier wirklich stehenbleiben und nach unten gucken, in einem Moment, den sie gar nicht mit Geschichte in Verbindung bringen, und innehalten."

München möchte also keine @_Stolpersteine_ , weil man auf sie tritt. ist das nicht genau der Sinn? Drauf zu treten+zu stolpern? + zu denken?

Katja Diehl (@katja_diehl) 29. Juli 2015Terry Swartzberg von der Initiative Stolpersteine für München gibt die Hoffnung nicht auf, dass auch in München eines Tages Fußgänger über die Schicksale von Nazi-Opfern stolpern werden. "Unsere Kampagne geht weiter", kündigte er an. Er hofft auf eine Klage und auf ein Bürgerbegehren, hat eine Online-Petition doch bereits knapp 100 000 Unterschriften gesammelt. In weit mehr als 1000 Städten weltweit werde der NS-Opfer mit diesen Steinen gedacht. "Warum sollten sie illegal in München sein?" Ein Ausweg für ihn: Die Verlegung der Steine als Kunstaktion zu deklarieren. "Wir werden die Stolpersteine verlegen in München - relativ bald", ist er sich sicher.

Ein Streit, der auch über die sozialen Netzwerke mitunter äußerst scharf geführt wird - und damit dem eigentlichen Sinn zuwider läuft: Würdig an die Opfer zu erinnern und die Erinnerung an die Schrecken der Nazi-Diktatur wach zu halten, gerade vor dem Hintergrund der NSU-Morde oder der Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. "Dieser Streit, der schadet uns allen", kritisierte deshalb Offman. Und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) mahnte: Trotz unterschiedlicher Positionen bleibe doch ein gemeinsamer Wunsch. "Ein würdiges, respektvolles Gedenken für die Naziopfer zu finden."

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