Pünktlich zu Halloween Neues Leben in der Geisterstadt

WASHINGTON · Bodie ist schöner. Auf 2100 Meter in einem staubigen Wüstental oberhalb des Yosemite Nationalparks gelegen, hat sich das zur Blütezeit zwischen 1882 und 1887 fast 10.000 Menschen beherbergende Goldgräber-Kaff den Titel "offizielle Geisterstadt Kaliforniens" redlich verdient.

 Grusel unterm Hammer: Blick auf eine Villa, an der die amerikanische Flagge vergebens gegen den Zahn der Zeit kämpft.

Grusel unterm Hammer: Blick auf eine Villa, an der die amerikanische Flagge vergebens gegen den Zahn der Zeit kämpft.

Foto: dpa

Den Touristen, die auf Wildwestromantik aus sind, erzählen die Fremdenführer des "State Historic Park" gerne, dass selbst das dreckige Geschirr im windschiefen Saloon noch genauso dasteht, wie es die letzten Einwohner vor der Evakuierung 1938 hinterlassen haben. Bodie ist schöner. Aber Johnsonville war zu haben. Bis gestern.

Für 1,9 Millionen Dollar wurde das aus acht historischen Neuengland-Häusern bestehende Ensemble samt Kirche, Gemeindehaus, Teich und gut 250.000 Quadratmeter Grundstück in der Nähe von Hartford im US-Bundesstaat Connecticut um 13.24 Uhr Ortszeit ersteigert.

Die von den Maklern der Chozick Company rund um Halloween gelegte Auktion verlangte ein Einstiegsangebot von 800.000 Dollar. Wer der Käufer ist, wollte Meredith Coleman vom Internet-Portal www.auction.com am Freitag auf GA-Anfrage nicht sagen. Den neuen Eigentümer trifft nach Erzählung von Anliegern eine geringfügige Erschwernis. In der Postkartenidylle Baujahr 1842 soll es zuweilen spuken.

Johnsonville war bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine sehr lebendige Mühlenstadt. Als die Garn-Industrie zusammenbrach, zogen die Menschen weg. 1972 besorgte ein Blitzeinschlag den Rest. Die drittälteste Zwirn-Manufaktur Amerikas hatte endgültig fertig. Später kaufte der für seine Exzentrik bekannte Millionär Raymond Schmitt das Ensemble, in dessen weiß getünchter Kirche einst das Video von Billy Joels Hit "River Of Dreams" gedreht wurde, und ergänzte es nach und nach um historische Bauten aus ganz Neu-england.

Schmitts Plan, aus Johnsonville ein viktorianisches Vorzeigedorf für Touristen zu machen, scheiterte ebenso wie die Idee des bisherigen Eigentümers. Eine Entwickler-Gesellschaft aus Florida wollte vor historischer Kulisse gehobenes, modernes Wohnen mit Schwimmbad, Sauna und Golfplatz etablieren.

Seit 1998 war kein Mensch mehr dauerhaft dort. Stattdessen tauchte Johnsonville in der beliebten TV-Serie "Verlassen" auf, die das Magazin "National Geographic" ausstrahlt und es dabei handzahm gespenstern lässt. Beim Durchstreifen eines alten Gemäuers stießen die Entdecker auf einen raffinierten Toilettenrollen-Halter aus dem späten 18. Jahrhundert. Huuh.

Das Phänomen Geisterstadt ist aber beileibe keine Rarität in Amerika. Glückssucher zogen einst in Scharen über die Prärie auf der Suche nach Goldadern oder Silberminen. Waren die Fundstellen ausgebeutet, zogen die Menschen weiter. Ihre Siedlungen verfielen. Eine frühe Form der Wegwerfgesellschaft. Allein im Bundesstaat Nebraska haben Historiker wie M. J. Morgan rund 9000 verlassene Nester ausgemacht, viele davon so abgelegen, dass kein Auto hinkommt. Nach Johnsonville führt eine geteerte Straße. Hilfreich. Man kommt so leichter weg. Falls es die Gespenster zu arg treiben.

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