Porträt Mikes Traum vom schnellen Geld

Michael Weigelt alias Jamaika-Mike handelte mit Drogen des berüchtigten Cali-Kartells. Mit kolumbianischem Kokain machte er ein Vermögen und genoss jahrelang das Luxusleben in der Karibik - bis er geschnappt wurde. Heute ist der Aachener arbeitslos und lebt von Hartz IV.

 Jamaika-Mike in der Hängematte

Jamaika-Mike in der Hängematte

Foto: EDITION STEFFAN

Im Inneren der Insel Jamaika, etwa 30 Kilometer von der Touristenhochburg Montego Bay an der Nordküste entfernt, bietet sich ein ungewöhnliches Naturschauspiel: Der Regen hat hier über die Jahrtausende bis zu 120 Meter tiefe Täler und noch tiefere Höhlen in den Kalkstein gefressen - ein wunderschöner, aber menschenleerer Ort. Es ist der Ort, an dem Michael Weigelt an einem heißen Tag im Februar von einem Auftragskiller erschossen werden soll. Wäre Weigelts Leben ein Film - das Ende wäre nicht unerwartet gekommen.

Michael Weigelt, genannt "Jamaika-Mike", schmuggelte Kokain im großen Stil. Er heuerte Kuriere an, plante Reiserouten, organisierte den Transport der Drogen von Jamaika über Deutschland, Belgien, den Niederlanden nach England. "Ich hatte immer zehntausend Euro im Portemonnaie. Wenn ich eine Lederjacke für tausend Mark auf der Kö gesehen habe, die mir gefiel, habe ich sie gekauft", sagt Weigelt. Er sitzt in einem Café nahe dem Ponttor in Aachen. Das Viertel ist beliebt bei Studenten. Bars, Kneipen, Diskotheken.

Graue Strähnen fallen Weigelt ins Gesicht. Mit dem Drei-Tage-Bart, den zurückgekämmten langen Haaren und dem Goldkettchen, das aus seinem geöffneten Hemd hervorblitzt, wirkt er jedoch nicht fremd in diesem Ambiente, eher wie ein Nachtclubbesitzer nach Feierabend. Heute ist der 50-Jährige arbeitslos. Er lebt von Hartz IV. Dem Aufstieg folgte der Absturz: Festnahme, Auslieferung, Gefängnis. Weigelts Geschichte gibt Einblicke in eine Parallelwelt. Sie zeigt, dass die weltweite gesteuerte Drogenkriminalität jederzeit auch in Deutschland, auch in Nordrhein-Westfalen, auch im Rheinland Wirklichkeit ist.

Alles beginnt im Jahr 1998. Weigelt will in die Karibik auswandern. "Jamaika war mein absolutes Traumurlaubsland", sagt er. Kurz zuvor ging das Wirtschaftsberatungsunternehmen, das der gelernte Bürokaufmann in Aachen gegründet hatte, pleite. Er kann seine 140 Quadratmeter große Penthouse-Wohnung nicht mehr bezahlen. Seine Frau verlässt ihn. "Keine Firma, kein Geld mehr, dann ist sie mit 'nem anderen Typen weg - so sind die Hühner. Frauen sind mein Verhängnis", sagt er.

Als er Freunden von seinen Plänen erzählt, wird er belächelt. Trotzdem besteigt er am 1. April 1999 mit seiner neuen Freundin Anja (Name geändert) - für Weigelt mehr Liebschaft als Liebe - den Flieger nach Jamaika. Ihren Eltern verspricht er, auf sie aufzupassen. 3000 US-Dollar sind alles, was der 35-Jährige zu diesem Zeitpunkt noch besitzt.

Einen Monat später stehen die beiden Deutschen buchstäblich auf der Straße. Sie verkaufen Kleidungsstücke aus ihrem Reisegepäck, um sich Essen zu kaufen. Weigelt hatte sich von Deutschland aus einen Job organisiert, doch die versprochene Stelle als Touristenführer hat er nicht bekommen. "Ich bin sehr ehrgeizig", so Weigelt. "Nach einem Monat schon aufgeben, das kam einfach nicht in Frage."

Die prekäre Lage des Pärchens bleibt nicht unbemerkt. Auf der Straße wird Weigelt angesprochen, ein Mann wolle ihn und Anja kennen lernen. In einer Seitenstraße in Negril West End trifft er den "Big Boss". Sein Name ist Paul. Dass der Jamaikaner mit dem freundlichen Auftreten mit Kokain des berüchtigten kolumbianischen Cali-Kartells handelt, weiß Weigelt zu diesem Zeitpunkt nicht. Er bekommt ein Angebot: Ein Kilogramm Kokain sollen er oder seine Freundin nach London bringen. Der Lohn: 30 000 Mark. "Wir haben Tag und Nacht überlegt, ob wir das machen sollen", erinnert sich Weigelt. Es ist Anja, Anfang 20, die sich schließlich bereit erklärt, die Drogen zu schmuggeln.

"Das System war perfekt", sagt er. Das Kokain wurde zu einer Paste verarbeitet und in eine Folie gewickelt. "Dadurch konnten es Hunde nicht erschnüffeln, und auch mit Hilfe von Röntgenstrahlen war es nicht zu erkennen." In den Boden einer Sporttasche eingearbeitet, fühlte sich die weiche Masse an wie Schaumstoff.

Ein anderes Problem ist die Reiseroute. Non-Stop von Jamaika nach London ist ein ungewöhnlicher Flug für eine Deutsche - verdächtig. Weigelt kommt eine Idee. Er holt Thorsten ins Team, seinen Stiefsohn. Anja soll mit der Tasche nach Düsseldorf fliegen, Thorsten sie mit dem Zug nach London bringen.

Es gelingt - doch das versprochene Geld erhält das Pärchen nicht. Paul will, dass die Deutschen investieren, in weitere Drogendeals. "Ich mach' euch superreich", verspricht der "Big Boss".

Weigelt heuert Kuriere an, organisiert für sie Flüge und bucht Hotels. "Das kann man sich nicht vorstellen. Die haben mir die Tür eingerannt. Menschen, die finanzielle Probleme haben, Scheiße im Leben erlebt haben, die keinen Fuß auf die Erde bekommen haben." Jeden einzelnen klärt Weigelt über die Risiken auf. Unwissende als Kuriere auszunutzen wäre für ihn nie in Frage gekommen. "Ein bisschen Ehre muss schon sein", sagt er. Hatte er kein schlechtes Gewissen? "Es hätte nichts gebracht, zu sagen, ich mach das nicht, dann hätte es jemand anderes gemacht. Die Nachfrage ist einfach da", rechtfertigt er sich.

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen haben 2012 zwischen 14 und 21 Millionen Menschen weltweit Kokain mindestens einmal probiert. Bis zum Jahr 2012 ist die in Europa sichergestellte Kokainmenge von 53 Tonnen (2009) auf 71 Tonnen angewachsen. Alleine in Kolumbien wurden im selben Jahr mehr als 300 Tonnen Kokain hergestellt. Und Jamaika bleibt einer der größten Umschlagsplätze. Der Inselstaat ist ideal für den Drogenhandel: Er hat eine lange und schwer zu überwachende Küste. Mehr als zwei Millionen Touristen reisen pro Jahr ein und aus. Zudem gibt es eine hohe Arbeitslosigkeit, Korruption und Kriminalität.

Nach Europa gelangen die Drogen in Frachtcontainern auf dem Seeweg oder aber im Gepäck von Flugreisenden. Anfang dieses Jahres machten drei Briten und eine Schweizerin Schlagzeilen, als sie am Flughafen Montego Bay festgenommen wurden. In ihren Koffern wurden sechs Kilogramm Kokain gefunden. Ihre Ziele: Frankfurt und London.

Auch Weigelt arbeitet zunächst von London aus. Einmal klopft es an der Tür. Paul tritt herein und schüttet zwei große Plastiktüten über den beiden aus. Auf sie regnen Geldscheine herab. "Wir haben an einem Kilogramm nach Abzug der Kosten für Kurier, Hotel, Spesen 70 000 Mark verdient." Zwischenzeitlich wohnt er wieder in Aachen. Durch seine Heimatstadt fährt er da mit einem BMW 328i. Über den Auswanderer lacht inzwischen keiner mehr.

Weigelt weiß, dass er Drogen des berüchtigten Cali-Kartells schmuggelt, doch "das lief gentlemanlike, es war nie eine Waffe im Spiel." Dass das Geschäft zumindest auf der Straße von Gewalt lebt, ist ihm jedoch klar. "Habe ich aber nie so mitbekommen", sagt er.

Im Herbst 1999 verlangt der Boss, dass zwölf Kilo Kokain sofort nach London gebracht werden müssen. Thorsten und ein Freund sollen per Flugzeug liefern. Zwei junge Männer, vier Taschen - Weigelt hält es für ein "Himmelfahrtskommando". Die beiden werden vom britischen Zoll kontrolliert. Thorsten und sein Begleiter landen für drei Jahre in einem britischen Gefängnis.

Später bringt sein Stiefsohn die Drogenfahnder auf Weigelts Spur. "Er hat dann irgendwann geredet, was ich ihm nicht übel nehme", sagt Weigelt. Er muss sofort fliehen, steigt in das nächste Flugzeug nach Jamaika. Wieder schmuggelt er. Diesmal nicht Drogen, sondern Geld. Rund 150 000 Mark. Weigelt bezieht ein Luxus-Anwesen am Strand. Einem alten Schulfreund möchte er seinen Job abtreten, künftig nur noch im Hintergrund mitkassieren. Doch bald schon will Paul direkt mit dem Neuen Geschäfte machen. Zwischen Weigelt und dem Big Boss kommt es zum Zerwürfnis. Im Februar 2000 unternimmt er mit Tanja auf der Insel einen Ausflug. An einer Tankstelle werden sie von einem Mann angesprochen. Paul habe ihn geschickt. "Der Big Boss will euch in den Labors in Montego Bay treffen", sagt er.

Weigelt ist sofort skeptisch: "Es war brütend heiß und der Typ trug eine Lederjacke." Der Unbekannte steigt zu den beiden ins Auto, nimmt auf dem Rücksitz Platz. Auf der Fahrt nach Montego Bay will der Mann plötzlich Richtung Landesinnere abbiegen - "noch kurz was abholen".

Die Straße wird schlechter, die Gegend verlassener. Im Rückspiegel beobachtet Weigelt den Unbekannten. Als dieser sich bewegt, erkennt er eine Waffe unter der Jacke. "Irgendwie musste ich den Typ aus dem Wagen bekommen", sagt Weigelt. Er ist abgelenkt und rast mit seinem Toyota-Pickup in ein Schlagloch. Geistesgegenwärtig täuscht er eine Reifenpanne vor. "Ich weiß nicht wieso, aber immer, wenn es brenzlig wird, bin ich cool wie Eis". Er steigt aus, greift fluchend nach dem Radkreuz. Inzwischen ist auch der Killer ausgestiegen, um sich den Schaden anzusehen. Als er merkt, dass der Reifen unbeschädigt ist, greift er sofort zur Waffe. In diesem Moment schlägt Weigelt zu.

Drei Jahre lang gelingt es Jamaika-Mike anschließend noch, sich Paul und Polizei vom Hals zu Halten. Ende 2003 wird er schließlich gefasst und nach Deutschland ausgeliefert. "Als ich meine Anklageschrift gelesen habe, habe ich über mich gedacht: Was bist du für ein mieses Arschloch."

Weigelt muss für sechseinhalb Jahre ins Gefängnis. Dort schreibt er ein Buch über seine Erlebnisse ("Jamaika-Mike", Edition Steffan, 14,90 Euro). "Für mich war es wie eine Therapie", sagt er heute. Seit sieben Jahren lebt er wieder in Freiheit. Der 50-Jährige hat einen vierjährigen Sohn, den er regelmäßig besucht. Hin und weder geht er mit einem Kriminalkommissar auf Lesung. "Gut und Böse" nennen sie sich. Das Geldverdienen sei ihm nie schwer gefallen, sagt er. Doch nach dem Knast will es nicht mehr recht gelingen. Er trägt Brötchen aus, arbeitet zwischenzeitlich auf dem Bau. "Wenn man sieben Jahre versucht, legal eine Arbeit zu finden, denkt man manchmal: Ein Anruf und ich könnte Tonnen dealen."

Kürzlich habe ihm ein Bekannter einen legalen Job angeboten, den er aber wegen seines Sohnes ablehnte. Er hätte umziehen müssen: nach Jamaika.

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