Wirtschaftskrise in Europa Kinder kippen vor Hunger um

ATHEN/LISSABON/MADRID · Vielen im Süden Europas fehlt es am Nötigsten. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat Hunger und Armut rasant beschleunigt. Immer mehr Menschen müssen sich zum Überleben an Hilfsorganisationen wenden.

Eleni Zisimatou besitzt nicht viel. Die Rente der 75-Jährigen Athenerin ist schmal. Doch sie mag die Augen nicht davor verschließen, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise viele andere Menschen in Griechenland ärger erwischt hat. "Ich habe eine kleine Rente. Aber jedes Mal, wenn ich zum Supermarkt gehe, lasse ich einen Liter Olivenöl im Korb für die Mittellosen", sagt Eleni Zisimatou.

Mit dem Korb meint die 75-Jährige kleine Boxen, in denen die Griechen Lebensmittel für Bedürftige deponieren können. Ins Leben gerufen hat die Aktion die griechisch-orthodoxe Kirche in enger Zusammenarbeit mit den Supermarktketten des Landes. Die Kisten sind fast immer voll.

Die Griechen haben in den vergangenen fünf Jahren im Durchschnitt ein Viertel ihres Einkommens verloren. Knapp 1,4 Millionen Menschen sind in dem Elf-Millionen-Land ohne Job. Nach offiziellen Angaben erhalten lediglich gut 145 000 von ihnen Arbeitslosengeld. Diese Unterstützung gibt es aber in dem Land nur für höchstens ein Jahr. Danach ist jeder auf die Hilfe der Familie, der Kirchen und der Städte angewiesen.

Die Wirtschaftskrise hat auch in Spanien zu mehr Not geführt. Nach dem kürzlich veröffentlichten Jahresbericht der katholischen Hilfsorganisation Caritas leben in dem Land drei Millionen Menschen in absoluter Armut, also von weniger als 307 Euro im Monat. Das sind doppelt so viele wie 2008 zum Ausbruch der Krise.

Der Andrang in den Suppenküchen und anderen Hilfseinrichtungen hat dementsprechend zugenommen. Allein Caritas betreute 2012 in Spanien 1,3 Millionen Bedürftige, dreimal so viele wie vor der Wirtschaftskrise. Auch die Fälle von Mangelernährung nehmen zu, vor allem bei Kindern.

"Ich habe mit Sorge Berichte von Kindern gehört, die in der Schule ohnmächtig wurden, weil sie nichts gegessen hatten", sagte der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, nach einem Spanien-Besuch. Ana Lima, die Präsidentin des Sozialarbeiterverbandes, sagte der Zeitung "El País": "Wir haben mit Familien zu tun, die nicht genügend Geld haben, Milch, Eier, Fleisch oder Gemüse zu kaufen."

Nach Caritas-Angaben hat die Armut auch in Portugal seit dem Beginn des Sanierungsprogramms vor zweieinhalb Jahren "in besorgniserregender Form" zugenommen. "Allein 2012 ist die Zahl der Menschen, denen wir helfen mussten, um 65 Prozent angestiegen", klagte jüngst der Präsident des Hilfswerks im ärmsten Land Westeuropas, Eugenio Fonseca.

Isabel Jonet, Direktorin eines Dachverbandes von Hilfsorganisationen, die Nahrungsmittel sammeln und an bedürftige Menschen verteilen, ist davon überzeugt, dass in ihrem Land "mehr als zehn Prozent der Bevölkerung an Hunger leiden". "Tausende Menschen essen mindestens an einem Tag in der Woche praktisch nicht, weil sie einfach kein Geld haben. Viele Kinder bekommen nur eine Mahlzeit pro Tag."

Im Zentrum Lissabons werden zudem seit ein paar Jahren die Bettler immer mehr. "Was soll ich machen? Ich und mein Mann kommen mit einer Gesamtrente von 370 Euro nicht aus", sagt die 68-jährige Maria. "Vor allem im Winter wird es kritisch, wenn wir die Heizung bezahlen müssen." Auch ihre Kinder hätten genug eigene Probleme und könnten ihnen nicht mehr helfen. "Oft müssen wir ihnen ein paar Euro geben", sagt Maria, die sich wie ein Kind freut, wenn sie von Besuchern der Cafés "ein Stückchen Kuchen" bekommt.

Im Zuge der Sparmaßnahmen, der unzähligen Steuererhöhungen und Sozialkürzungen steuert Portugal auf das dritte Rezessionsjahr in Folge zu. Inmitten vieler Streiks und Proteste erreichte die Arbeitslosenquote zuletzt ein Rekordniveau von rund 17 Prozent. Bei Kommunalwahlen war die Mitte-Rechts-Regierung zuletzt gehörig abgestraft worden.

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