Mike Nichols Geburtshelfer fürs neue Hollywood

Das Varieté war sein Lehrmeister, der Broadway seine erste Bühne. Hier lernte Mike Nichols als Darsteller wie Regisseur makelloses Timing, komödiantischen Biss und Respekt vor Schauspielern.

 Das Bild zeigt eine Szene aus dem Filmklassiker "Die Reifeprüfung" aus dem Jahr 1967 mit Anne Bancroft und Dustin Hoffman. Für den Film wurde Nichols 1968 bei der Oscar-Verleihung mit einer Trophäe für die beste Regie ausgezeichnet.

Das Bild zeigt eine Szene aus dem Filmklassiker "Die Reifeprüfung" aus dem Jahr 1967 mit Anne Bancroft und Dustin Hoffman. Für den Film wurde Nichols 1968 bei der Oscar-Verleihung mit einer Trophäe für die beste Regie ausgezeichnet.

Foto: dpa

Dazu gehört, wie Meryl Streep später bemerkte, "die Begabung, sich im richtigen Moment herauszuhalten und Dinge geschehen zu lassen". Und was ließ er nicht alles geschehen: 1966 inszenierte er "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?", eine der besten alkoholbefeuerten Zimmerschlachten überhaupt. Hollywoods zweiköpfige Hydra, Elizabeth Taylor und Richard Burton, lief zu selbstzerfleischender Bestform auf. Unter den fünf Oscars für diesen brillanten Seelenstriptease fehlte zwar der für die Inszenierung, die den Theaterstaub nicht ganz von der Vorlage gefegt hatte.

Doch mit dem zweiten Film wurde 1967 alles noch besser: "Die Reifeprüfung" bestand nicht nur Regie-Oscar-Sieger Nichols, sondern auch sein junger Hauptrollendebütant Dustin Hoffman bravourös. Unvergesslich, wie sein Benjamin Braddock mit exzellentem College-Abschluss ratlos an der Schwelle zur verlogenen Erwachsenenwelt herumlungert, im Pool abtaucht, von Mrs. Robinson (Anne Bancroft) vernascht wird, um sich dann doch irgendwie und eigentlich viel zu spät in deren Tochter zu verlieben.

All das ist bis zum Herzschlagfinale am Altar zum Gütesiegel des klischeekritischen "New Hollywood" geworden. Nicht zuletzt, weil Simon & Garfunkels Songs perfekt zum Reigen der gemischten Gefühle passten. Mike Nichols, der als Michael Igor Peschkowsky 1931 in Berlin geboren wurde und auf der Flucht seiner jüdischen Eltern als Siebenjähriger in die USA kam, hatte es dort schon mit Mitte 30 geschafft. Dabei beherrschte er bei seiner Ankunft nur die Sätze "Ich spreche kein Englisch" und "Bitte küss mich nicht." Sieben Tony-Trophäen, ein Regie-Oscar, ein Grammy und mehrere Emmys - Nichols pflückte die Preise wie reife Trauben.

Und er lieferte Hits mit Hirn und Herz. Sein vielleicht bester, "Die Waffen der Frauen", hätte auch Billy Wilder alle Ehre gemacht. Hier brillieren alle: Melanie Griffith als ehrgeizige Sekretärin Tess McGill, Sigourney Weaver als kaltschnäuzige Chefin und Harrison Ford, der sowohl Schiedsrichter wie Hauptgewinn dieses pointenblitzenden Florettgefechts ist.

Nichols, seit 1988 in vierter Ehe mit der Star-Journalistin Diane Swayer verheiratet, galt als scharfzüngiger Kritiker amerikanischer Lebensart. Kein Wunder, dass ihm pure Unterhaltung bald nicht mehr genügte. In "Silkwood" (1983) spürte er den vertuschten Gefahren der Atomkraft nach, ließ 1998 John Travolta "Mit aller Macht" in Bill Clintons schlüpfriger Wahlkampfspur wandeln und stellte 2007 ("Der Krieg des Charlie Wilson") böse Fragen zur US-Politik in Afghanistan.

All dies glückte durchaus, ohne die schlackenlose Finesse seiner Beziehungskomödien zu erreichen. 2004 aber kehrte er mit "Hautnah" zur Bitterkeit von "Virginia Woolf" zurück und verstrickte Julia Roberts, Jude Law, Nathalie Portman und Clive Owen ins Psycho-Scharmützel.

Am Mittwoch ist Mike Nichols mit 83 Jahren in New York gestorben.

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