Sicherheitslücke im Weißes Haus Ex-Scharfschütze der Army gelangt bis zum Wohntrakt des Präsidenten

WASHINGTON · Wenn Omar Gonzalez nicht mildernde Umstände bekommt für den unangemeldeten Besuch, den er am Freitagabend an der Adresse 1600 Pennsylvania Avenue in Washington abstattete, dann geht der 42-Jährige voraussichtlich für bis zu zehn Jahre ins Gefängnis.

Bewaffneter Hausfriedensbruch in der Regierungszentrale der Vereinigten Staaten, lautet der Vorwurf gegen den im Irak-Krieg eingesetzten ehemaligen Scharfschützen der US-Army. Die Umstände sind diesmal besonders.

Noch nie kam ein unerbetener Gast dem Heiligsten der amerikanischen Regierungszentrale so nahe. Seit der Texaner unter den Augen von Touristen über den eisernen Zaun sprang, wie ein 100-Meter-Läufer über den Rasen sprintete, die unverschlossene Tür des "North Portico" öffnete, in dem die Obamas ihren Wohnbereich haben und erst dort von Beamten des Secret Service überwältigt wurde, verengt sich die Debatte um die innere Sicherheit in Amerika auf die Frage: Wie ist es wirklich um den Schutz des Präsidenten bestellt?

Ronald Kessler, Geheimdienst-Experte und Autor eines gerade erschienenen Buches, das hinter die Kulissen des Secret Service blickt, malt den Teufel an die Wand: "Wenn der Eindringling chemische, biologische oder radioaktiv verseuchte Waffen getragen hätte und der Präsident und seine Familie anwesend gewesen wäre, dann hätten wir jetzt einen toten Präsidenten und eine tote Familie."

Für Kessler ist der Zwischenfall das bisher "krasseste" Beispiel für das auf "strukturelle Nachlässigkeit" gründende Versagen des elitären Sicherheitsdienstes, der bereits in der Vergangenheit durch das laxe Handhaben von Alkohol und im Zusammenhang mit leichten Damen im Umfeld von Obama-Staatsbesuchen in Kolumbien und den Niederlanden für Negativ-Schlagzeilen sorgte.

Dass Omar Gonzalez nur ein Taschenmesser bei sich trug, offenbar geistig durcheinander ist und den Präsidenten nach eigenen Angaben persönlich über eine drohende Klima-Katastrophe informieren wollte, lässt Jason Chaffetz, Vorsitzender eines wichtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses, nicht gelten.

Ebenso wenig die Tatsache, dass der Präsident samt seiner Töchter Sasha und Malia zur Tatzeit gerade aus der Tür Richtung Wochenend-Sitz Camp David war und die Gattin gänzlich außer Haus. "Ich bin fassungslos, dass der Mann so weit gelangen konnte", empört sich der Republikaner und verlangt eine umfassende Untersuchung: "Der Secret Service macht seinen Job nicht richtig."

Dort gibt man sich zerknirscht. "Unakzeptabel" nannte Sprecher Ed Donovan den Vorfall. Julie Pierson, die Chefin des knapp 3200 Mitarbeiter starken Secret Service, dem der persönliche Schutz der Regierung, ausländischer Gäste und national bedeutungsvoller Veranstaltungen obliegt, hat eine Analyse der "gravierenden Sicherheitspanne" veranlasst, die es am Wochenende vor allem aus einem Grund in die Hauptnachrichtensendungen schaffte: Nachdem Gonzalez zu Boden gerungen wurde, ließen die Behörden weite Teile des Weißen Hauses evakuieren. Szenen wie in einem schlechten Hollywood-Film.

Langjährige US-Beobachter des zwischen "Hochsicherheitstrakt und öffentlichstem Gebäude der Welt" pendelnden Weißen Hauses rätseln, warum der Zaungast nicht früher gestoppt wurde - "etwa mit den dafür geschulten Hunden". Erst am 11. September hatte ein "jumper" an gleicher Stelle kurz für Hektik gesorgt. Sein Abenteuer auf verbotenem Rasen war nach wenigen Schritten vorbei. Ähnlich erging es am Samstag einem Mann aus New Jersey, der per pedes und mit dem Auto die Bannmeile verletzte. Aus Reihen des Secret Service wird mit Begriffen wie "Verhältnismäßigkeit der Mittel" und "Fingerspitzengefühl" gekontert.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort