Verwaltungsgericht erlaubt Eigenanbau Eine Droge als Medizin

BONN · Kirsten Müller-Vahl dürfte darin geübt sein, in langen Sätzen zu reden. Wenn die Professorin der Medizinischen Hochschule in Hannover zu ihrem Engagement in der "Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin" erklärt, dann fehlen nie die Einschübe: "rein medizinische Verwendung", "es geht nicht um Drogensucht" - und ganz besonders häufig fällt der Satz: "Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun". Das eine, das ist Cannabis als Rauschmittel, das andere meint den Einsatz der Hanfpflanze zu therapeutischen Zwecken.

Zu letzterem fiel am Dienstag vor dem Kölner Verwaltungsgericht ein Urteil, das als "spektakulär" bezeichnet wird: Erstmals erlaubt ein deutsches Gericht, Cannabis selbst anzubauen - wichtiger Einschub: "zu Therapiezwecken, wenn den Kranken sonst nichts gegen die Schmerzen hilft".

Fünf Schmerzpatienten im Alter von 34 bis 61 Jahren hatten vor dem Kölner Gericht geklagt - und zwar im Prinzip gegen die Bundesrepublik Deutschland. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte den Klägern den Cannabis-Anbau untersagt - auf Anweisung des Bundesgesundheitsministeriums.

Zumindest bei drei der schwer kranken Klägern sah es jetzt das Kölner Gericht als erwiesen an, dass zum einen alternative Therapien bei ihnen nicht angeschlagen hatten. Und zum anderen sei es ihnen nicht möglich, die Beschaffung der aus Cannabis-Extrakt gewonnenen Medikamente in der Apotheke zu kaufen. Die kosten, so der Anwalt eines Klägers, zwischen 800 und 1000 Euro im Monat. Und die Krankenkasse übernimmt diese Kosten nicht. Das Urteil sei "eine Premiere in der deutschen Rechtssprechung", bestätigte Gerichtssprecherin Stefanie Seifert.

Entschieden wurde aber nicht, dass nun jeder Bundesbürger auf dem Balkon seine kleine Drogenplantage hegen und pflegen darf. Das Kölner Urteil ist eine Einzelfallentscheidung mit strenger Auflage: Die Droge müsse, so das Gericht, vor Zugriffen Dritter gesichert werden.

Es geht um Therapie, nicht um Rausch. Geht es auch um Sucht? "Natürlich gibt es ein Suchtpotenzial", sagt Professorin Kirsten Müller-Vahl. "Aber nach meinen Erfahrungen werden Patienten durch die Einnahme von medizinischem Cannabis nicht zu Suchtkranken."

Umfassende Studien zu Cannabis als Medizin blieb die Pharma-Industrie bisher schuldig, wie Müller-Vahl bestätigt. "Aber die Inhaltsstoffe der Pflanze wurden vor Tausenden von Jahren schon zur Heilung genutzt. Dieses Heilwissen ist lange Zeit verdrängt worden und wird jetzt wieder Thema." Die "Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin" forscht insbesondere über den Einsatz der Pflanze bei Menschen, die am Tourette-Syndrom leiden, einer Störung im Nervensystem, das zu unkontrollierbaren Tics führt.

Ihnen wird Cannabis in einer niedrigen und immer gleichen Dosierung verabreicht - weshalb Müller-Vahl nicht an die Möglichkeit einer Suchtentwicklung glaubt. Das Bundesinstitut BfArM hat jetzt vom Kölner Gericht den Auftrag erhalten, den Eigenanbau in drei Fällen zu genehmigen.

Damit geht das Kölner Urteil weiter als das des Oberverwaltungsgerichtes Münster, das noch im Juni ebenfalls Einzelfall-Genehmigungen erlaubt hatte - aber nur, wenn das BfArM diese Entscheidung selbst trifft. Zwei Klägern wurde der Eigenanbau nicht erlaubt: Der eine hatte angegeben, er wolle Cannabis in seinem Schlafzimmer züchten. Der andere sei, so die Richter, "nicht gesichert austherapiert" - heißt: Erst müssen noch weitere Therapiemöglichkeiten getestet werden, bis ihm der Eigenanbau von Cannabis gestattet wird, so die Richter.

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