"The Family of Man" Edward Steichens Mammut-Projekt wird neu präsentiert
"The Family of Man" war in New York ein Riesenerfolg. Steichens Ausstellung ging dann auf Tournee, war in Tokio und Berlin, Paris, Amsterdam, München und London zu sehen. Jetzt kommt die Ausstellung nach Luxemburg.
Es gibt so etwas wie eine universelle Sprache: die des Lachens. Die österreichische Bäuerin auf dem Foto tut es ebenso wie der kubanische Arbeiter, der sein strahlendes Kind in die Luft hebt, der Franzose auf einem Foto von Henri Cartier-Bresson, der sich in der heimischen Stube auf sein Essen freut, oder die sechs jungen New Yorkerinnen, die im Hamburger-Lokal Späße für den Fotografen Robert Frank machen. Es gibt aber auch die universelle Sprache der Trauer und Verzweiflung. Dorothea Langes berühmtes Bild einer verhärmten, ernst dreinblickenden Frau, steht für die Sorge einer Mutter, die ihre Kinder durch die Depression der 20er Jahre bringen muss. Life-Fotografin Margaret Bourke-White dokumentierte die Trauer in einem indischen Dorf, ein unbekannter deutscher Fotograf hielt fest, wie Menschen mit erhobenen Armen nach dem Aufstand im Warschauer Getto von SS-Männern abgeführt wurden.
Bald darauf liegt die Welt in Trümmern, Millionen sind traumatisiert, Menschen entwurzelt, und eine Gesellschaft ringt nach der überlebten Katastrophe des Zweiten Weltkriegs um Fassung. In dieser Situation startete 1951 eine bislang einzigartige Bilderrecherche: Der für seine mondänen Modefotos und Porträts berühmte Fotograf Edward Steichen, Leiter der Fotoabteilung des New Yorker MoMA, verfolgte die Vision eines weltumspannenden Menschheitspanoramas, das einen humanitären Grundstein nach der Stunde Null legen sollte. Er sichtete dazu vier Jahre lang gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Wayne Miller mehr als zwei Millionen Aufnahmen, von denen zehntausend in die engere Wahl kamen.
Schließlich waren es 503 Aufnahmen von 273 Fotografen aus 68 Ländern, die am 24. Januar 1955 unter dem Titel "The Familiy of Man" als Manifest für den Frieden und die fundamentale Gleichheit der Menschen im New Yorker Museum of Modern Art, im MoMA, der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Es war der erste und vorerst letzte Versuch eines derartigen Menschheitspanoramas. Großartige Fotokünstler wie Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Alfred Eisenstaedt, Dorothea Lange, Robert Doisneau, August Sander, Garry Winogrand und Ansel Adams sowie unzählige anonyme Chronisten zeichnen ein facettenreiches Bild dieser weltumspannenden Familie, die die von Steichen gesetzten Themenfelder teilt: Liebe und Geburt, Arbeit, Familie und Kinder, Krieg und Frieden bestimmen und prägen deren Leben, in insgesamt 37 Kapitel gliederte Steichen seine fotografische Weltreise.
"The Family of Man" war in New York ein Riesenerfolg. Steichens Ausstellung ging dann auf Tournee, war in Tokio und Berlin, Paris, Amsterdam, München und London zu sehen, auch jenseits des Eisernen Vorgangs wurde die Schau mit ihrer weltumspannenden humanistischen Botschaft wahrgenommen. Mehr als 150 Museen in 38 Ländern zeigten "The Family of Man", die Schau brachte es auf zehn Millionen Besucher. 1964 endete die Tournee. Nach dem Wunsch des gebürtigen Luxemburgers Steichen gelangten die Bilder 1966 in den Besitz des Großherzogtums Luxemburg, das die inzwischen stark ramponierte Wanderschau zwischen 1974 und 1989 auf Schloss Clervaux zeigte. Nach einer aufwendigen Restaurierung gingen die Fotos nochmals auf eine kurze Tournee und befinden sich seit 1994 nun dauerhaft auf Schloss Clervaux. Keine 160 Kilometer von Bonn entfernt. Im vergangenen Jahr wurde die neu konzipierte und restaurierte Schau der inzwischen zum Weltdokumentenerbe der Unesco gehörenden "Family of Man" eröffnet. Versucht wurde eine weitgehende Rekonstruktion von Steichens ursprünglicher MoMA-Schau.
Steichen hatte seine Auswahl nicht nach künstlerischen Aspekten getroffen, wichtig war ihm vielmehr die Ausdrucksstärke. Er wollte eine emotionale Ausstellung, die dem Gang des Lebens von der Geburt bis zum Tod über kulturelle Grenzen hinweg folgt. Wir sehen die Liebenden von Doisneau, flüchtige Küsse, die Magnum-Fotograf Ernst Haas in einem US-amerikanischen Bahnhof aufnahm, verfolgen eine Hochzeitszeremonie in Japan, sehen Hochzeitspaare aus der Tschechoslowakei, Indien, Schweden und Frankreich. Steichens - sehr konventioneller - Lebenszyklus steuert auf Schwangerschaft - Elliot Erwitts werdende Mutter mit dem Kätzchen ist sicherlich das anrührendste Bild dieser Serie - und Geburt zu. Rund um den Globus wird getanzt und gefeiert, gearbeitet und gelitten. Familien posierten für den Fotografen. Man trauert gemeinsam. Der fotografische Zyklus endet mit Krankheit und Tod.
Selbst wenn das Pathos der Präsentation 60 Jahre nach der Schau im MoMA befremdet, der humanistische Ansatz anachronistisch wirkt und Steichens Lebenskreis heute ziemlich naiv anmutet - die 503 Fotos auf Schloss Clervaux ziehen den Besucher noch immer in ihren Bann. Steichens Schlusswort: "Als ich mich der Fotografie widmete, war es mein Wunsch, sie als Kunst anerkannt zu sehen. Heute würde ich für dieses Ziel keinen Pfifferling geben. Die Aufgabe des Fotografen ist es, den Menschen den Menschen zu erklären und ihm zur Selbsterkenntnis zu verhelfen."
Schloss Clervaux, Luxemburg, geöffnet vom 1. März bis 1. Januar, Mi-So 12-18 Uhr. Eintritt 6 (erm. 4) Euro. Internet: www.cna.lu und www.steichencollections.lu