ChrisTine Urspruch im Interview Der Star mit dem großen T

KÖLN · ChrisTine Urspruch ist der Publikumsliebling im "Tatort" aus Münster. Ihre Karriere startete die Schauspielerin vor genau 20 Jahren am Bonner Theater als Ophelia im "Hamlet". Wir haben die 43-Jährige in Köln zum Interview getroffen.

 Vielseitige Schauspielerin: ChrisTine Urspruch im "Tatort".

Vielseitige Schauspielerin: ChrisTine Urspruch im "Tatort".

Foto: WDR/Böhme

Im Kölner Stadtteil Braunsfeld sagen die Straßennamen, wo's lang geht: nach Aachen und Düren. Oder nach Stolberg. In der gleichnamigen Straße residiert eine Firma namens Forensics. Sie erstellt DNA-Porträts, zum Beispiel Vaterschaftstests. "Nein, ein Tatort wird hier nicht gedreht", sagt die freundliche Dame am Empfang.

"Vielleicht versuchen Sie ihr Glück gegenüber." Dort steht ein betagtes Bürogebäude, das Foyer ist verwaist. Kein Hinweis auf Dreharbeiten. Oder doch? Offene Büroeinheiten auf der ersten Etage, einige Kartons mit der Aufschrift "Polizei". Nur ein Mensch weit und breit. "Hier ist das Polizeipräsidium von Köln und Münster", sagt der Mann. "Die Kollegen sind im Moment aber alle in der Rechtsmedizin, unten im Keller."

Zwei Treppen runter, ein dunkler, langer Gang, eine dicke Stahlschiebetür. Sie öffnet sich wie von Geisterhand: "Ach, Sie haben uns gefunden", sagt die Aufnahmeleiterin im Flüsterton. "Kommen Sie rein, aber ganz leise." Neben dem Regisseur ist noch ein Stuhl frei. Einen besseren Platz gibt es kaum, um bei einer "Tatort"-Produktion Mäuschen zu spielen.

"Alberich, was ist hier passiert!?" lärmt Frank Thiel. Auf dem Seziertisch liegt eine tote Chinesin. "Und wo ist Professor Boerne?" Fans können die Personen im Schlaf zuordnen. Boerne, gespielt von Jan Josef Liefers, ist Gerichtsmediziner in den Folgen aus Münster. Seine Assistentin Silke Haller wird Alberich genannt, so heißt der Zwergenkönig aus dem Nibelungenlied. Eine Anspielung auf die Körpergröße der Darstellerin: ChrisTine Urspruch misst 1,32 Meter. Kommissar Thiel wird von Axel Prahl gespielt. Vor den kalten Kacheln der Pathologie kauern an diesem Mittag noch Mechthild Großmann als Staatsanwältin Klemm und Friederike Kempter als Thiels Assistentin Nadeshda.

12.50 Uhr. Nahaufnahmen Alberich. Die Kamera geht auf Augenhöhe: knapp 132 Zentimeter. Auf dem Monitor erscheint das Gesicht der Schauspielerin: die Augen groß, der Ausdruck hellwach. Alberich erklärt, dass sie Boerne bewusstlos neben der toten Chinesin gefunden und dann ins Krankenhaus geliefert hat. Kurze Pause. Prahl steckt sich eine Lucky an. Nächste Einstellung: Halbtotale. Die tote Chinesin legt sich wieder auf den Tisch; "Chiu braucht noch etwas mehr Blut auf dem Unterarm", ruft Regisseur Lars Jessen. Es wird ein langer Tag.

Die "Münsteraner" wissen, was sie ihrem Publikum schuldig sind. Mehr als zwölf Millionen TV-Zuschauer warten fieberhaft auf die nächste Folge, die unter dem Titel "Die chinesische Prinzessin" im Herbst ausgestrahlt wird. Neben Prahl und Liefers sind längst auch die Nebendarsteller zu Stars avanciert. Allen voran ChrisTine Urspruch als Alberich. Mit der Schauspielerin sprach Heinz Dietl.

Frau Urspruch, worum geht es im nächsten "Tatort" aus Münster?
ChrisTine Urspruch: Alberich findet Professor Boerne bewusstlos auf dem Boden, neben ihm eine Chinesin, die ermordet worden ist. Boerne gerät unter Mordverdacht. Klingt absurd, aber es gibt Indizien.

Trauen Sie ihm einen Mord zu?
Urspruch: Alberich ist natürlich von seiner Unschuld überzeugt. Sie will ihn mit Laborbefunden entlasten.

Spielt der Inhalt in einem "Tatort" aus Münster überhaupt eine Rolle - bei diesen schrägen Figuren?
Urspruch: Die Figuren sind in der Tat skurril. Der wortkarge Kommissar, der exaltierte Rechtsmediziner - und dazwischen ich, die stets versucht, alles ins Lot zu bringen. Die ihr Fett abbekommt durch Boernes Sprüche und sich trotzdem - buchstäblich - nicht kleinkriegen lässt.

Trotzdem ist Alberich in der neuen Folge sehr besorgt, oder?
Urspruch: Natürlich sorgt man sich um seine Kollegen. Das zeigt letztlich auch ihr großes Herz.

Andererseits: Hat es mit Boerne nicht endlich mal den Richtigen erwischt?
Urspruch: Alberich hat keine Rachegelüste, dafür ist die Situation zu radikal. Möglichweise genießt aber der Fernsehzuschauer einen Moment der Schadenfreude.

Wie denkt Alberich über Boerne?
Urspruch: Sie schätzt ihn als Kollegen und Chef. Natürlich mag sie ihn, na ja, auch als Mann.

Ach!
Urspruch: Ich will nicht sagen, dass sie verliebt ist, aber sie hegt liebevolle Gefühle für ihn.

Komplizierte Nachfrage: Wie denkt die Schauspielerin Urspruch über die Filmfigur Boerne?
Urspruch: Er ist ein anstrengender Zeitgenosse. Und ein einsamer Hund, der nicht viele soziale Beziehungen pflegen kann und sich selbst als Mittelpunkt der Welt betrachtet. Wenn man ihn jeden Tag um sich hat, freut man sich aufs Wochenende.

Und wie viel Alberich steckt in ChrisTine Urspruch?
Urspruch: Auch ich muss mir im Alltag so manches anhören. An Alberich finde ich gut, dass sie diese Sprüche aushält - und ihre innere Würde behält. Das tue ich persönlich auch, selbst wenn es nicht immer leicht ist.

Die letzte Folge war enorm erfolgreich. Hat Til Schweiger schon angerufen und sich über "Sum Sum Sum" beschwert?
Urspruch: Nee, hat er nicht. Meine Telefonnummer gebe ich auch nicht jedem.

Schweiger hat mit seinem ersten "Tatort" aus Hamburg das Rekordergebnis von 12,57 Millionen Zuschauern eingefahren, ein paar Tage später wurde er von Münster um 240.000 Zuschauer sogar überholt. Was sagen Sie dazu?
Urspruch: Das ist wie beim Spiel mit Hase und Igel. Sehr amüsant, auch beachtlich. Andererseits: Quote ist nicht alles.

Haben Sie den Schweiger-"Tatort" gesehen?
Urspruch: Ja, ich fand ihn recht konventionell. Ein "Tatort" lässt viele Möglichkeiten zu, auch eine action-lastige Geschichte. Unser "Tatort" zeichnet sich aus durch Humor und Skurrilität. Da sind wir stark, dafür werden wir geliebt.

Spüren Sie beim Dreh die zwölf Millionen Zuschauer?
Urspruch: Im Hinterkopf schon, auch wenn der Dreh selbst reiner Berufsalltag ist.

Und im privaten Alltag?
Urspruch: Ja, man wird oft angesprochen. Ich bin ja auch leicht ausfindig zu machen. Die Reaktionen sind durchweg positiv.

Und Sie genießen das?
Urspruch: Meine Popularität ist enorm gestiegen, aber ich warte durchaus auf Rollenangebote, die mich noch ein Stück weiterbringen. Ich habe den Eindruck: Ich bin jetzt besetzt mit Alberich - und mehr bietet sich nicht. Finde ich bedauerlich, bei dieser Popularität des "Tatort".

Sie haben einst in Bonn Theater gespielt, unter anderem die Ophelia im "Hamlet". Welche Erinnerungen haben Sie?
Urspruch: Sehr gute. Ich stehe seit 20 Jahren auf der Bühne, ein Jubiläum. 1993 hatte ich am Schauspiel Bonn meine erste Theaterrolle. Es war für mich der Schritt in die Professionalität. Bonn hat mir Türen geöffnet.

Wie sind Sie mit der Ophelia klargekommen?
Urspruch: Die Zusammenarbeit mit Regisseur András Fricsay war für mich ein Befreiungsschlag, weil in dieser Inszenierung meine Körpergröße überhaupt keine Rolle spielte. Zwar war auch meine Ophelia eine junge unerfahrene Frau, aber das hatte nichts mit der Körpergröße zu tun. Für mich war es die Bestätigung, in diesem Beruf nicht nur über Äußerlichkeiten besetzt zu werden.

Haben Sie in Bonn gewohnt?
Urspruch: Ja, in einer Schauspieler-WG in Bad Godesberg. Mit Blick aufs Siebengebirge. Ich habe über vier, fünf Jahre dort mein Zimmer gehabt - und am Theater auch meinen Mann kennen gelernt.

Wie läuft es derzeit auf den Theaterbühnen?
Urspruch: Ich habe vor kurzem in Wien und Bregenz gespielt. In Berlin spiele ich an der Volksbühne "Die spanische Fliege" - seit zwei Jahren ungefähr zweimal im Monat. Im Juni sind wir damit nach Japan eingeladen.

Von wegen festgelegt auf Alberich! Hinzu kommt Ihre Hauptrolle in den drei Folgen des Kinohits "Sams"? Ist das etwa nicht abwechslungsreich?
Urspruch: Ja, stimmt. Der Erfolg ist enorm. Ich mache regelmäßig Sams-Lesung und spüre, wie gut das beim Publikum ankommt.

Wie sind Sie überhaupt zum "Tatort" gekommen?
Urspruch: Nach dem ersten "Sams"-Film 2000 war mein Kollege Ulrich Noethen im Gespräch für die Rolle des Rechtsmediziners im "Tatort Münster". Und er hat mich als seine Assistentin vorgeschlagen. Eines kam zu anderen, Ulrich Noethen hat die Rolle nicht übernommen, sondern Jan Josef Liefers. Und ich blieb Alberich.

Nicht alle Szenen werden in Münster gedreht. Die Rechtsmedizin befindet sich hier in einem Kölner Keller. Was ist der Grund?
Urspruch: Das hat produktionstechnische Gründe, auch Kosten spielen eine Rolle. Aber es wird darauf geachtet, dass Münster mit vielen Außenaufnahmen vorkommt. Für die jetzige Folge drehen wir im Westfälischen Landesmuseum. Da macht die Stadt Münster sehr vieles möglich.

Wie stolz ist Münster auf seinen "Tatort"?
Urspruch: Ziemlich stolz. Wenn wir Schauspieler durch die Stadt spazieren, werden wir permanent angesprochen, fotografiert, zum Bier oder Kaffee eingeladen.

Für Ihren Vornamen haben Sie eine ungewöhnliche Schreibweise gewählt. Warum ist das T groß?
Urspruch: Das große T ist mein persönliches Ausrufungszeichen! Habe ich mir irgendwann ausgedacht. Es ist der spielerische Umgang mit Klein und Groß. Und eine Art der Selbstbestimmung, die ich mir durch diese Schreibweise gegeben habe.

Zur Person

  • Geboren 1970 in Remscheid. Nach dem Abitur wirkt sie in der Theatergruppe Brot und Spiele mit.
  • 1993 erhält sich ein Engagement in Bonn. Sie spielt unter anderem Ophelia in Shakespeares "Hamlet". Am Bonner Theater lernt sie ihren späteren Mann, den Regisseur Tobias Materna kennen.
  • Sie spielt regelmäßig Theater, u. a. an der Volksbühne Berlin.
  • 2001 spielt sie die Titelrolle im Kinofilm "Sams", wie Fortsetzungen folgen 2003 und 2012.
  • Seit 2002 spielt sie die Rolle der Rechtsmedizinerin Silke Haller (Alberich) im Tatort aus Münster.
  • Seit 2007 ist sie verheiratet. Sie lebt mit Ehemann achtjähriger Tochter in Wangen im Allgäu.
  • Hobbys: Radfahren. "Und Schwimmen - im Sommer am liebsten in den Allgäuer Seen".
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