Dokudrama "George" "Da spielt jemand um sein Leben"

BONN · Die erste Szene des Dokudramas "George" gehört dem Schauspieler Götz George und Goethes Faust. In der Rolle seines Vaters Heinrich spricht Götz George Zeilen aus dem Vorspiel auf dem Theater im Faust: "So schreitet in dem engen Bretterhaus / Den ganzen Kreis der Schöpfung aus / Und wandelt mit bedächtger Schnelle / Vom Himmel durch die Welt zur Hölle!"

Die Hölle lernte Heinrich George gerade kennen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er von den sowjetischen Siegern inhaftiert worden. An den brutalen Haftbedingungen starb er 1946 mit 52 Jahren im Lager Sachsenhausen; sein letztes Wort war "Götz". Der Sohn war beim Tod des Vaters acht Jahre alt.

Die Großaufnahme des müden Gesichts Heinrich Georges, eines gebrochenen Mannes, der nur mehr das Jenseits im Blick hat, gehört zu den vielen Höhepunkten in dem knapp zweistündigen Dokudrama von Joachim A. Lang (Buch) und Kai Hafemeister (Regie). "George" wird am 22. Juli auf Arte und am 24. Juli in der ARD zu sehen sein.

Lang und Hafemeister konzentrieren sich auf die Jahre 1933 bis 1946. Sie haben Spielszenen mit neuem Archiv-Bildmaterial, Zeitzeugen-Interviews und Filmausschnitten montiert. Unter anderem tritt Georges älterer Bruder Jan auf. Die Filmsprache erlaubt einen distanzierten Blick auf den Fall Heinrich George. Der emotionalen Wucht, mit der Götz George seine Rolle ausfüllt, kann sich aber kein Zuschauer entziehen. Am Set, sagte George im Interview mit dem "Stern", hätten alle vom Regisseur bis zu den Statisten gemerkt: "Da spielt jemand um sein Leben, das ist der Heinrich George, und sein Sohn versucht, einen Teil seines umfassenden Lebens zu retten."

George wollte das Bild vom Vater korrigieren, der sich mit den Nazis einließ, um weiter als Schauspieler arbeiten zu können, der in Propagandafilmen wie "Hitlerjunge Quex" und "Kolberg" mitwirkte und den Führer Adolf Hitler öffentlich lobte. Das ist das eine. Vielen Kollegen rettete er die Karriere und sogar das Leben. George spielt den Vater als naiven, grundlos optimistischen politischen Kopf. Ein Analytiker der Verhältnisse ist er nicht, Hitler schmäht er als "Suppenkasper".

"Er spielt ihn als unschuldigen Künstler, der von den Zeitläuften überrollt wurde", urteilte der Kritiker Peter Kümmel in der "Zeit" über Götz George. Er habe sich ein erträgliches Bild seines Vaters erschaffen. Das hieße jedoch, nur die Oberfläche von Georges Darstellung zu betrachten. Er beglaubigt die Widersprüche eines Mannes, der wie Gustaf Gründgens oder Wilhelm Furtwängler Teil eines Systems wurde, das ihm instinktiv zuwider sein musste. Aber es förderte und feierte ihn. "Ach, Kinder, ich wollte einfach arbeiten. So einfach ist das", sagt Heinrich George im Verhör zu einem russischen Offizier. Und später: "Spielen ist das Wichtigste." Er gibt auch zu: "Ich hab' Kompromisse gemacht."

Das ist der offizielle Heinrich George, der keinen Blick in sein Innerstes erlaubt. Sein Sohn Götz spielt aber den doppelten Boden mit, er zeigt die Zweifel, vermutlich auch Gewissensbisse, die das Theater-Alphatier Heinrich George virtuos verdrängte. Zum Widerstand war er nicht fähig, da er nicht loslassen konnte vom Schauspiel und vom Ruhm. Kurze Zeit nach der Pogromnacht wurde er von Joseph Goebbels zum Intendanten des Schillertheaters in Berlin befördert: fatales Timing.

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