Kameramann Michael Ballhaus Als Hollywoods Bilder kreiseln lernten

"Es wird so viel geredet in Filmen" klagt Michael Ballhaus. Schließlich weiß der berühmteste deutsche Kameramann wohl am besten, wie man auf der Leinwand ohne Worte erzählt. Er lieh dem deutschen Autorenfilm der 60er und 70er Jahre sein Talent, bevor er Hollywoods magisches Auge wurde und mit den Besten drehte.

 Drei Jahrzehnte in der Mafia: Robert De Niro (links) und Ray Liotta in Martin Scorseses Meisterwerk "GoodFellas".

Drei Jahrzehnte in der Mafia: Robert De Niro (links) und Ray Liotta in Martin Scorseses Meisterwerk "GoodFellas".

Foto: dpa

Einziger Wermutstropfen: Drei Oscarnominierungen brachten ihm keine Trophäe ein. Wenn der gebürtige Berliner heute 80 Jahre alt wird, erinnert er sich gewiss noch genau an den Schlüsselmoment seines Lebens: Als der Sohn eines Theaterschauspielerpaars mit 18 die Dreharbeiten von Max Ophüls' "Lola Montez" ansah. Denn jene epische Zirkelfahrten, die später sein Markenzeichen wurden ("Ballhaus-Kreisel"), erzeugte auch Ophüls schon: Er versetzte eine an der Decke aufgehängte Kamera in rasante Rotation um die Akteure seines Tänzerindramas herum.

Ballhaus' Spitzname "Das fliegende Auge" verdankt sich solchen optischen Pirouetten und zirzensischen Effekten, die er schon 1973 in Rainer Werner Fassbinders "Martha" erprobte: Wenn sich Margit Carstensen und Karlheinz Böhm begegnen, werden sie per 360-Grad-Schwenk in einen Schicksalskokon eingesponnen.

Doch Ballhaus entschied zugleich, diese sadomasochistische Geschichte mit nur einer Brennweite zu drehen. Diese erzeugte verstörend "normale" Bilder für eine perverse Situation und erhöht so die Unbehaglichkeit des Horrorkammerspiels.

Nach 15 Filmen mit Fassbinder (darunter "Despair" und "Die Ehe der Maria Braun") zerbrach die kreative Allianz. Doch als Ballhaus 1982 für Peter Lilienthal in New York "Mr. Wonderful" drehte, löste er das Ticket nach Hollywood. Und kaum sah Martin Scorsese die achtfache Kreisfahrt um ein tanzendes Paar in James Foleys "Reckless", wollte er diesen Kameramann haben. Er bekam ihn für sieben Filme und große Bilder.

Ballhaus mag den Begriff "Bildgestalter" für seinen Beruf eigentlich lieber. Tatsächlich bleibt "Gangs Of New York" nicht nur wegen der knochenzermalmenden Straßenschlachten in Erinnerung, sondern auch wegen der warmen, "armen" Beleuchtung der Gaslichtzeit, die er an den Gemälden von Rembrandt oder Brueghel studiert hatte. Und für Scorseses "Good Fellas" ersann er eben nicht nur die längste Steadycamfahrt aller Zeiten, sondern mischte auch das schmutzige Licht, das zur drastischen Entzauberung der Mafia passte.

Dieser bescheiden-uneitle Hollywoodvirtuose ließ Eitelkeiten der Stars an sich abprallen - nur Meryl Streep nervte ihn - und sah sich stets als Lernender. Beim Kollegen Raoul Coutard studierte er die entfesselte Kamera etwa in "Außer Atem", und in Sven Nykvists Arbeiten für Ingmar-Bergman faszinierte ihn die Kunst, die Augen der Figuren von innen leuchten zu lassen. Überhaupt liegen ihm die Schauspieler besonders am Herzen. Für "Die fabelhaften Baker Boys" zeigt er Michelle Pfeiffers Porzellanschönheit zuerst in ungekannter Härte, um sie am Ende in schmeichelndem Licht zu baden und ehrfürchtig zu umkreisen.

Ballhaus arbeitete für Francis Ford Coppola ("Dracula"), James L. Brooks ("Nachrichtenfieber") oder Robert Redford ("Quiz Show"). Und Mike Nichols erklärte nach gemeinsamen Filmen wie "Die Waffen der Frauen" und "Mit aller Macht": "Arbeiten mit Michael ist himmlisch, nur dass man dafür nicht sterben muss." Nach dem Tod seiner Frau Helga 2006 zog Ballhaus wieder nach Berlin und heiratete 2011 die 25 Jahre jüngere Regisseurin Sherry Hormann. Und da der Grüne Star sein Augenlicht nach und nach zerstört, flüstert sie ihm im Kino jene Szenen zu, die er heute nicht mehr sehen kann.

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