Köln - die Janusköpfige vom Rhein

Die einzige Millionenstadt im Westen zeigt viele Gesichter: Hightech-Standort, Shopping-Metropole und Medien-Zentrum, aber auch überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit und Milliardenschulden

Köln. Das hat Köln getroffen wie ein Unterleibsschlag. Als Anfang September der Düsseldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin verkündete, seine Stadt sei schuldenfrei, reagierte Stadtkämmerer Peter Michael Soénius mit einem schmallippigen Lob: Der Erzkonkurrent am Rhein verfolge zwar eine "richtige und erfolgreiche Politik".

Wegen struktureller Unterschiede könne aber Köln "eine Finanzpolitik wie Düsseldorf gar nicht machen", erklärte Soénius im "Stadt-Anzeiger". Was bleibt dem Kämmerer übrig? Köln, die nach Einwohnern größte Stadt in NRW, sitzt auf einem Schuldenberg von rund zweieinhalb Milliarden Euro. Mit der derzeitigen Polit-Konstellation - der CDU-Oberbürgermeister muss mit einer rot-grünen Ratsmehrheit kohabitieren - sind umfangreichere Verkäufe des städtischen Tafelsilbers wie in Düsseldorf kaum möglich.

Die Begeisterung über die eigene Stadt lassen sich die Kölner von derlei garstigen Zahlen jedoch nicht nehmen. Die Stadtoberen planen für die Zukunft. Und die kostet, Schulden hin, Düsseldorf her. Allein die neue Nord-Süd-Stadtbahn, vier Kilometer lang, schlägt mit 950 Millionen Euro zu Buche, 320 Millionen mehr als geplant. Im ehemaligen Rheinauhafen entsteht ein komplett neues Geschäfts- und Wohnviertel. Der Godorfer Hafen nahe Wesseling soll für 60 Millionen um ein neues Hafenbecken erweitert werden.

Es gibt Planungen für einen Neubau von Oper und Schauspielhaus inklusive Tieferlegung der zentralen Verkehrsachse Nord-Süd-Fahrt. Bis 2010 soll das Rheinufer auf der "Schäl Sick", der rechten Rheinseite, zum Boulevard umgestaltet werden. Und ein beim renommierten Stadtplaner Albert Speer in Auftrag gegebener "Masterplan" für die Stadtentwicklung - von Sponsoren aus der Wirtschaft bezahlt - wird gewiss nicht "för ömmesöns" verwirklicht werden können.

Dabei ist die Stadt mit Baustellen zurzeit ohnehin reich, nun ja, gesegnet oder geschlagen. Alles eine Frage des Standpunkts. In der Innenstadt drehen sich ungezählte Kräne, neue Bürokomplexe und Wohnbauten schießen in die Höhe. "Es ist durchaus richtig, wenn man von einem Boom spricht", sagt Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU). 2003 seien 12 000 Baumaßnahmen genehmigt worden, 2006 waren es rund 18 600, eine Steigerung von über 50 Prozent.

Was viele Bürger bestenfalls fatalistisch mit den Augen rollen lässt, freut den OB: "Wir haben es geschafft, das Köln-Bild deutlich ins Positive zu rücken und Köln als attraktiven Standort noch besser zu profilieren." Die Rheinmetropole habe sich als "bedeutender nationaler Immobilienstandort mit zunehemend internationaler Anziehung" einen Namen gemacht.

Tatsächlich scheint die Stadt ihre - bei aller latent vorhandenen Bereitschaft, jederzeit unter lautem Absingen von "Viva Colonia" die Pappnas aufzusetzen - jahrelang leicht depressive Stimmung überwunden zu haben, erzeugt von schlechten wirtschaftlichen Nachrichten in Serie. Nachdem über Jahrzehnte bereits der industrielle Kernbestand unter Schwindsucht gelitten hatte, drohte nach der Jahrtausendwende auch noch die traditionell starke Versicherungsbranche auszudünnen. Die Allianz drohte mit Schließung ihrer Dependance mit 1 800 Beschäftigten, der traditionsreiche Gerling-Konzern schrieb tiefrote Zahlen.

Schnee von gestern. Gerling heißt jetzt zwar Talanx, aber viele Arbeitsplätze in Köln blieben erhalten. Und auch die Allianz zog ihre Schließungspläne nach entschiedenem Widerstand zurück. Dazu ist die Stadt von einem immer noch oder wieder prosperierenden Industriegürtel umgeben (Chemie, Automobilbau), schmückt sich mit der meistfrequentierten Einkaufsmeile Deutschlands, der Schildergasse, und darf sich, nicht nur dank WDR und RTL, zumindest im nordrhein-westfälischen Rahmen Medienhauptstadt nennen.

Damit nicht genug: Mit Microsoft, das seine NRW-Zentrale von Neuss in den Rheinauhafen verlegen wird, hat die Stadt einen ganz dicken Fisch aus der IT-Branche an Land gezogen. Wirtschaftdezernent Norbert Walter-Borjans hofft, dass sich im Umfeld von Microsoft viermal mehr Beschäftigte ansiedeln, als der Konzern in der Stadt selbst hat. "Für die Informationstechnologie ist Köln der größte Standort in NRW", stellt Matthias Mainz von der IHK fest.

Also alles paletti in der Kölsch-Metropole? Nun ja. Jenseits von Medien-Glitz und Rheinauhafen-Glamour, von Schildergassen-Konsumrausch und Masterplan-Visionen, gibt es ein anderes Köln. Ein Köln, in dem in einigen Vierteln die Arbeitslosenzahlen so hoch sind wie in Mecklenburg-Vorpommern, ein Köln der tristen Hochhauswüsten, der Hartz-IV-Ghettos, der Armut an Geld und Geist.

An Stadtteilen wie Chorweiler (über 26 Prozent Arbeitslose Ende 2006), Kalk (24 Prozent) oder Meschenich (23 Prozent) scheint der allseits beschworene Boom vorbeigegangen zu sein. Die Arbeitslosenquote liegt über dem Landesdurchschnitt, insbesondere die hohe Zahl von Langzeitarbeitslosen schmilzt nur langsam ab. Köln habe "nach wie vor noch mit seiner industriellen Vergangenheit und dem Strukturwandel zu kämpfen, dem viele, insbesondere einfache Arbeitsplätze zum Opfer gefallen sind", erklärt OB Schramma.

Für den OB, der über eine erneute Kandidatur 2009 noch nicht entschieden hat, wie für seinen Wirtschaftsdezernenten liegt die Lösung des Problems Arbeitslosigkeit im Faktor Bildung. "Wir müssen uns den Aufgaben der Qualifizierung stellen", erklärt Walter-Borjans mit besonderem Blick auf den hohen Ausländeranteil unter den gering Qualifizierten. Schnelle und leichte Erfolge sind auf diesem Weg kaum zu erwarten.

Auf absehbare Zeit wird die einzige Millionenstadt im Westen ihren Januskopf wohl behalten: Dynamischer Hightech-Standort und trostlose Bildungswüste, Shopping-Paradies und Hartz-IV-Metropole, Heimat für Gutverdiener und Prekariat. Warum diese Widersprüche und Spannungen in der Stadt nicht für größere Konflikte sorgen, ist eines der kölschen Geheimnisse. Vielleicht liegt es ja an der nivellierenden Wirkung des Karnevals, der nicht nur Ventil ist, sondern auch stabile Basis eines ganz speziellen Selbstbewusstseins.

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