Kommentar Sterbehilfe - Die Debatte umkehren

Berlin · Es gehört zur ganz eigenen menschlichen Würde, aus freiem Willen entscheiden zu können, dass das Leben nicht mehr tragbar ist. Es gibt keine Pflicht zum Leben, zumindest keine rechtliche. Das ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Das autonome Individuum entscheidet nur auf sein Gewissen verwiesen und auf sich allein gestellt über sein Leben.

Dem steht aber kein Recht gegenüber, einen Dritten zu beauftragen, den Tod herbeizuführen. Auch wer auf Verlangen tötet, der tötet und unterliegt der Gerichtsbarkeit. Zwischen diesen beiden Polen ist es aber möglich, einem Sterbenswilligen Hilfe zu leisten. Eine Hilfe zu leisten für etwas, das nicht strafbar ist, kann im Prinzip selbst nicht strafbar sein.

Das sind die Leitplanken, an denen sich alle Versuche orientieren müssen, die jetzige Gesetzeslage beim Thema Sterbehilfe zu reformieren. Die Abgeordneten des Bundestages tun dies mit großer Behutsamkeit und unter Hintanstellung aller parteipolitischem Verortung. Das verdient höchsten Respekt.

Nun liegt ein Gesetzentwurf vor, der von einigen Abgeordneten aus allen Fraktionen getragen wird und dem große Chancen auf Zustimmung im Parlament eingeräumt werden. Kern ist ein neuer Straftatbestand: die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung. Das zielt auf Organisationen wie Sterbehilfe-Vereine, die das Modell eines sogenannten assistierten Suizids sozusagen "serienmäßig" anbieten. Ein solcher Vorstoß muss nachweisen, dass hier eine Notwendigkeit zum Handeln besteht.

Jedenfalls gibt es einen gewissen Trend. Vereine wie der des ehemaligen Hamburger Innensenators Roger Kusch werben offensiv mit ihrer Hilfe zum Tod, in der Schweiz ist die Zahl der Menschen, die sich zu dieser Art assistierten Suizids entschlossen haben, im vergangenen Jahr um ein Viertel gestiegen, darunter viele deutsche Staatsbürger.

Wohlgemerkt, es geht hier nicht um die Hilfe eines Freundes oder Partners für seinen sterbenden Angehörigen, nicht um einen letzten tragischen Liebeserweis für den leidenden Nächsten. Diese äußerste Tat der liebenden Zuwendung ist durch keine rechtliche Regelung erreichbar und soll nicht kriminalisiert werden. Es geht um die Handlungsreisenden in Sachen Tod, die den Suizid zu einer verfügbaren Ware machen wie Schnupfenspray oder Kopfschmerzmittel, leicht erreichbar. Die Sterbedienstleister schaffen diese Nachfrage und verändern schleichend unser Bild vom würdevollen Leben und vom Alter. Und sie schaffen eine Drucksituation: Wenn der Tod auf Bestellung zu einer gleichberechtigten Alternative wird, dann sehen sich sehr bald alte Menschen der Frage ausgesetzt, warum sie der Gesellschaft zur Last fallen, wo doch der reibungslose Abgang jederzeit erreichbar ist.

Es ist an der Zeit, diesen Trend zu stoppen und die Debatte umzukehren. Nicht der Tod soll verfügbar, sondern der Wille zum Leben gestärkt werden: durch einen Ausbau der Hospize; durch ein viel größeres Augenmerk auf die Palliativmedizin; durch eine angemessene Bezahlung und gute Ausbildung von Pflegekräften und den Aufbau von Pflegestellen, damit eine hinwendungsvolle, anteilnehmende Begleitung am Lebensende ermöglicht wird.

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