Zäune, Korridore, Abwehrhaltung: EU-Ostländer blocken ab

Warschau/Prag/Budapest · So deutlich wie Milos Zeman ist bislang kaum ein Spitzenpolitiker in Ostmitteleuropa geworden.

 Mit Stacheldraht gegen Flüchtlinge: Ungarische Soldaten montieren den vier Meter hohen Zaun an der Grenze zu Serbien. Foto: Zoltan Gergely Keleman

Mit Stacheldraht gegen Flüchtlinge: Ungarische Soldaten montieren den vier Meter hohen Zaun an der Grenze zu Serbien. Foto: Zoltan Gergely Keleman

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Zum Umgang mit angeblichen "Wirtschaftsflüchtlingen" aus Krisenländern des Nahen Ostens und Afrikas, die eine bessere Zukunft in Europa suchen, sagt der tschechische Präsident: "Sie sollten sofort zurückgeschickt werden, statt sie in verschiedenen Einrichtungen unterzubringen." Der 70-Jährige würde die Armee lieber heute als morgen an die eigenen Grenzen schicken. Doch Regierungschef Bohuslav Sobotka bremst: "Der Augenblick ist noch nicht gekommen."

Das einzige Land in der Region, das den Zustrom der Flüchtlinge bisher massiv zu spüren bekommt, hat seine Grenze hingegen dicht gemacht: Im Eiltempo stellte Ungarn am vergangenen Wochenende einen 175 Kilometer langen Stacheldrahtzaun an der Südgrenze zu Serbien fertig. Er soll die Flüchtlinge aufhalten.

Doch Tausende sind schon da, warten am Ostbahnhof von Budapest auf die Weiterreise, bevorzugt nach Deutschland und in andere westeuropäische Staaten. Dorthin würde auch Tschechien Flüchtlinge gewissermaßen durchreichen, sofern Berlin zustimmt: Der sozialdemokratische Innenminister Milan Chovanec sorgte mit der Bemerkung für Furore, es sei zumindest "diskussionswürdig", Syrer in einer Art "Korridor" nach Deutschland durchzuwinken. Er reagierte so auf die Ankündigung Berlins, keine syrischen Kriegsflüchtlinge mehr abschieben zu wollen.

In Deutschland, Frankreich und anderen Staaten stößt das Zaudern der östlichen EU-Staaten zunehmend auf Unverständnis. Immer lauter und häufiger ist von mangelnder Solidarität die Rede. Auf dem EU-Sondergipfel zur Flüchtlingskrise Mitte September dürften erneut Forderungen an die Länder im Osten der Staatengemeinschaft gestellt werden, sich stärker als bisher an der Aufnahme von Flüchtlingen zu beteiligen. Die vier Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei wollen am Freitag in Prag hierzu schon einmal eine gemeinsame Linie abstecken.

Vor allem könnte es auf eine gemeinsame Ablehnung westeuropäischer Forderungen hinauslaufen. "Was den Widerstand gegen Quoten angeht, verstehen wir uns sehr gut", meinte der tschechische Ministerpräsident Sobotka über die Haltungen in Prag, Warschau, Budapest und Bratislava. Auch im Baltikum wehren sich die Politiker gegen verpflichtende Aufnahmequoten.

Von Tallinn bis Bratislava wird Wert auf die Feststellung gelegt, man sei ja nur ein Transitland. Die meisten Flüchtlinge wollten überhaupt nicht in den armen Osten der EU, heißt es über Landes- und Parteigrenzen hinweg.

Umfragen zeigen, dass auch die Mehrheit der Bevölkerung keine Fremden im Land will. Vor allem rechtskonservative Politiker warnen vor "Überfremdung", andere schüren Ängste, mit Flüchtlingen aus Afrika könne Ebola nach Europa gelangen. Die Stimmung geht bis hin zu offen rassistischen Äußerungen wie den Facebook-Einträgen der ehemaligen estnischen Außenministerin Kristiina Ojuland, die angesichts des Flüchtlingszustroms übers Mittelmeer die "weiße Rasse" bedroht sieht.

Immerhin hat die liberalkonservative polnische Regierungschefin Ewa Kopacz nun Bereitschaft zu Gesprächen über mehr Flüchtlinge signalisiert. Von 2200 Flüchtlingen sei nicht mehr die Rede, versicherte sie am Montag. Kritiker hatten schon vor langem eingewandt, dass die Aufnahme einer solchen Zahl von Flüchtlingen in einem Land mit 38 Millionen Einwohnern, zumal über die Dauer von zwei Jahren, kein unlösbares Problem sein könne.

Allerdings schränkte Kopacz sogleich ein, das Angebot werde "dem Rahmen unserer Möglichkeiten" angepasst. Während die Aufnahme politisch Verfolgter ein Zeichen der Solidarität sein müsse, erteilte sie all jenen eine Absage, die allein ihrer Armut entkommen wollten. Außerdem lebten schon jetzt Zehntausende Ukrainer in Polen. "Wenn sich die Situation in der Ukraine verändert, müssen wir damit rechnen, dass Ukrainer ins nächstgelegene Land, also nach Polen, kommen", warnte sie.

Regierungssprecher Cezary Tomczyk versicherte am Dienstag zudem, Kopaczs Äußerungen bedeuteten keinesfalls eine polnische Zustimmung zu Flüchtlingsquoten und seien auch "schlecht verstanden" worden: "Die Zahl der etwa 2000 Flüchtlinge (die Aufnahme finden sollen) ist klar. Daran hat sich nichts geändert."

Doch vielleicht sind die östlichen EU-Staaten schon bald gezwungen, sich auch ohne Aufnahmezusagen mit den Menschen auseinanderzusetzen, die an ihren Grenzen um Einlass bitten. "Bisher haben blockierte Grenzen immer zu einer Änderung der Flüchtlingsrouten geführt", sagt Ewa Moncure, Sprecherin der EU-Grenzschutzagentur Frontex in Warschau.

Wenn die bisherige Balkanroute durch den Stacheldraht an der serbisch-ungarischen Grenze unterbrochen ist, werden neue Wege gesucht. Über Bulgarien, Rumänien und die Ukraine könnten demnächst Flüchtlinge in Polen eintreffen.

Die tschechische Polizei verzeichnet schon jetzt eine steigende Zahl von Flüchtlingen, die über den Südosten des Landes nach Westeuropa zu gelangen versuchen. In der Nacht zum Dienstag und am frühen Morgen wurden mehr als 200 Migranten aufgegriffen. Sie wollten in Zügen aus Österreich und Ungarn nach Deutschland gelangen.

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