Rätsel um MH370 vor der Aufklärung "Wir glauben nichts mehr"

Das Wrackteil ist etwa so groß wie eine Tür. Muscheln und Krebse hatten sich an der silberfarbenen Flügelklappe mit der Code-Nummer 657-BB festgesetzt, bevor sie an der Küste der tropischen Vulkaninsel La Réunion in der Nähe von Mauritius angespült wurde. Das Stück, so viel steht mittlerweile wegen der Code-Nummer fest, stammt von einer Boeing 777.

 Polizisten bergen das Wrackteil eines noch nicht identifizierten Flugzeuges, das an der Küste bei Saint-André auf La Réunion angespült wurde.

Polizisten bergen das Wrackteil eines noch nicht identifizierten Flugzeuges, das an der Küste bei Saint-André auf La Réunion angespült wurde.

Foto: dpa

Es gibt nur eine einzige Maschine dieses Typs, die gegenwärtig auf der Welt vermisst wird: Das vor 17 Monaten spurlos verschwundene Flugzeug von Malaysia Airlines mit 239 Menschen an Bord, das am 8. März des vergangenen Jahres auf dem Flug von Kuala Lumpur nach Peking spurlos verschwand.

"Das ist eine sehr wichtige Entwicklung", erklärte Australiens Vize-Premierminister Warren Truss gestern. Aber keiner der Verantwortlichen wollte sich endgültig festlegen. Allzu oft haben sich Regierungen sowie wirkliche und selbst ernannte Experten in der Vergangenheit bereits mit ihren Hoffnungen und Erklärungen verrannt.

Premierminister Tony Abbott nutzte im vergangenen Jahr die gleichen Worte, bevor sich ein Metallstück als Teil eines Containers entpuppte. Theoretisch könnte es sich bei dem Fund um ein Ersatzteil handeln, das von Bord eines Frachters gespült wurde.

Wrackteil auf dem Weg nach Frankreich

Malaysias Premierminister Najib Razak erklärte lediglich: "Es erscheint sicher, dass es sich um ein Stück Tragfläche einer Boeing 777 handelt." Er schickte eine Abordnung in die französische Stadt Toulouse. Das türgroße Wrackteil befindet sich auf dem Weg von La Réunion in den Süden Frankreichs. Fachleute sollen sich dort völlige Gewissheit über die Herkunft verschaffen.

Am Donnerstag wurde bekannt, dass Bewohner von La Réunion am selben Strand einen stark beschädigten Koffer gefunden haben. Seither überschlagen sich die Fantasien.

Denn die Vorstellung, dass Koffer und Wrackteile 17 Monate lang sozusagen gemeinsam die mehr als 5000 Kilometer weite Seereise durch den stürmischsten Teil des Indischen Ozeans zurückgelegt haben, erscheint wie ein unglaublicher Zufall. Nicht minder unwahrscheinlich erscheint, dass die beiden Teile ausgerechnet am Ufer einer Insel angeschwemmt worden sein sollen, die in den Weiten des Meeres allenfalls die Größe eines Fliegenkleckses besitzt.

Spekulationen frei Haus

Es dauerte nicht lange nach der Entdeckung des Wrackteils, bis Ozeanografen sich mit Erklärungen meldeten, die gewaltige Wasserbewegungen des Ozeans in metergenauer Präzision analysierten. Statt geduldig die Ergebnisse in Toulouse abzuwarten, gab es Spekulationen frei Haus.

Die Meeresströmungen hätten es ermöglicht, dass Treibgut von MH370 den weiten Weg zurückgelegt habe. Andere wollten wissen, dass die Boeing im Nordwesten Australiens ins Meer stürzte, um die Seereise zu ermöglichen. Die bisherige Suche hatte sich aber auf das Meer vor dem Südwesten Australiens konzentriert.

Dort suchen Australien, Malaysia und China bereits seit dem vergangenen Jahr vergeblich Zehntausende von Quadratkilometern Meter für Meter des dort bis zu acht Kilometer tiefen Indischen Ozeans ab. Dort werden die Reste des Flugzeugs vermutet, das überhaupt nur dank unglaublicher Schlamperei von Malaysias Luftfahrtbehörden und der Luftkontrolle von Anrainer-Staaten verschwinden konnte.

"Gute Nacht und auf Wiedersehen"

Mit den Worten "Gute Nacht und auf Wiedersehen" hatte sich der 53-jährige Flugkapitän Zaharie Ahmad Shah kurz nach Mitternacht von der Flugkontrolle in Kuala Lumpur verabschiedet, bevor MH370 in den Flugraum Vietnams wechselte. Dort meldete sich die Besatzung nie.

Es dauerte Stunden, bis Vietnam und Malaysia merkten, dass die Boeing 777 verschwunden war. Ein Grund: Ein Beamter in Kuala Lumpur wagte es nicht, seinen Vorgesetzten aufzuwecken.

Als endlich die Suche im Golf von Thailand anlief, muss die Boeing längst über dem Indischen Ozean gewesen sein. Malaysias Radar zeichnete den neuen Kurs sogar eine Zeitlang auf. Aber das wurde erst Tage später entdeckt. Die ungefähre Ortung der vermutlichen Absturzstelle im Indischen Ozean gelang schließlich nur mit Hilfe der Firma Inmarsat. Deren Satelliten hatten die Boeing sieben Stunden lang angefunkt.

Eine Antwort blieb aus, weil Malaysia Airlines aus Kostengründen auf den Ortungsservice verzichtete. Inzwischen ist die Fluglinie laut den Worten ihres neuen Chefs Christoph Müller aus dem rheinischen Bergisch Gladbach "technisch bankrott". Der Abschuss von MH 17 über der Ukraine brachte Malaysia Airlines endgültig aus der Balance.

"Wir glauben nichts mehr"

"Wir glauben nichts mehr", sagte der Verwandte eines Passagiers nach den ersten Meldungen aus La Réunion über die Entdeckung des Wrackteils. 153 Passagiere stammten aus China, und die dortigen Behörden haben den Angehörigen wenig zu sagen.

Viele haben monatelange Achterbahnfahrten zwischen Hoffnung und Verzweiflung hinter sich. Emotional ausgezehrt hoffen manche noch immer auf ein Wunder. Andere wollen endlich einen Schlussstrich unter die monatelange Ungewissheit ziehen.

"Sie werden noch lange warten müssen"

Aber selbst wenn sich das Wrackteil als Teil der vermissten Boeing 777 entpuppt, werden sie noch lange warten müssen. Denn die mögliche erste Spur seit März 2015 bestätigt dann lediglich den Absturz von MH370. Die Absturzstelle selbst dürfte ebenso weiter unbekannt bleiben wie die Ursache des Verschwindens.

Malaysias Regierung hatte im vergangenen Jahr erklärt, das Flugzeug sei absichtlich und von Menschenhand auf seine mysteriöse Odyssee über den Indischen Ozean gesteuert worden.

Wer am Steuerknüppel saß und wie das Motiv der Aktion aussah, weiß bis heute niemand. Aufschluss könnte es höchstens geben, wenn die Blackbox noch entdeckt wird. Aber die liegt unentdeckt irgendwo in den Tiefen des Indischen Ozeans.

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