Analyse Was nun, Herr Maaßen?

Berlin · Im Bundestag muss sich Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen an diesem Mittwoch für den Wirbel rechtfertigen, den er mit einem Interview zu Chemnitz ausgelöst hat. Ob ihm das gelingt, ist offen.

 Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen steht nicht zum ersten Mal unter hohem Druck.

Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen steht nicht zum ersten Mal unter hohem Druck.

Foto: Kay Nietfeld

Es sind Tage der Entscheidung für Hans-Georg Maaßen. Seit der selbstbewusste Verfassungsschutzpräsident öffentlich die Authentizität eines Videos in Zweifel gezogen hat, das am 26. August unter dem Pseudonym "Antifa Zeckenbiss" mit dem Stichwort "Menschenjagd" getwittert wurde, geht ein Sturm der Entrüstung über den Rheinländer hinweg.

Hält sein Dienstherr, Innenminister Horst Seehofer (CSU), am obersten Verfassungsschützer der Republik fest? Kritiker aus der Opposition stellen seit Tagen infrage, ob Maaßen überhaupt noch geeignet sei, die Verfassung zu schützen. Auch die SPD und Teile der Union verlangen Belege für Maaßens Zweifel.

Klare Worte hat der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) nie gescheut, seit er 2012 das Amt in einem recht desolaten Zustand übernommen hatte. Wegen der Vernichtung von Akten mit Bezug zu den Ermittlungen in der rechtsextremen NSU-Mordserie war der Ruf der Behörde ziemlich ramponiert.

Dass er allerdings seit der Hochphase der Flüchtlingskrise 2015 immer wieder auch öffentlich Kritik an der Migrationspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) durchblicken ließ, hat ihm in der Regierungszentrale nicht unbedingt Freunde gemacht. Aber Maaßen konnte sich halten - und dürfte sich in der neuen Regierung mit einem CSU-Innenminister Horst Seehofer mit seinen Sicherheitsbedenken wegen der Migrationspolitik Merkels ziemlich gut wiedergefunden haben.

Doch nun ist die Situation anders. Die Stimmung im Land ist aufgewühlt und gereizt. Im sächsischen Chemnitz und in Köthen in Sachsen-Anhalt skandieren fremdenfeindliche und rechtsextremistische Demonstranten teils Nazi-Sprüche. Und ausgerechnet in diesen Zeiten sorgt der wichtigste Verfassungsschützer mit öffentlichen Äußerungen mehr für Verwirrung, als dass er zur Deeskalation beiträgt, lautet die Hauptkritik an dem 55 Jahre alten Rheinländer.

Viel wird für den BfV-Präsidenten nun davon abhängen, wie dieser Mittwochnachmittag verläuft. Maaßen muss sich erst im geheim tagenden Bundestagsgremium zur Kontrolle der Geheimdienste (PKGr) erklären. Am frühen Abend gibt es eine Sondersitzung des Innenausschusses zum Thema. Danach wird sich wohl zeigen, ob Maaßen die Vertreter von Union und SPD überzeugen konnte, dass er noch der richtige Mann auf dem Präsidentenposten im BfV ist.

Gut möglich, dass sich Maaßen über noch mehr ungewollten Beifall von Rechtsaußen ärgern muss: Die AfD dürfte ihn in Schutz nehmen, sie könnte den BfV-Chef als Kronzeugen angeblicher Falschberichterstattung in den Medien benutzen. Für viel Wirbel hatten in den vergangenen Wochen schon Treffen etwa mit AfD-Fraktionschef Alexander Gauland gesorgt. Maaßen führt zwar regelmäßig Gespräche mit Abgeordneten aller Fraktionen, etwa mit Vertretern der Linkspartei. Doch die Entrüstung über die AfD-Gespräche war derart groß, dass er sich genötigt sah, verbreiten zu lassen, er hege "keinerlei politische Sympathie für die AfD".

Für nicht unwahrscheinlich wird gehalten, dass zwar auch die Vertreter von CDU und CSU am Mittwoch Maaßens Äußerungen scharf kritisieren. Dass sie sich aber für einen Rücktritt oder einen Rauswurf des Verfassungsschutzchefs aussprechen, gilt eher als unwahrscheinlich. Gerade die CSU, so wird vermutet, dürfte sich recht klar auf Maaßens Seite schlagen.

Von Innenexperten ist zudem zu hören, der Mann sei eigentlich eine gute Wahl auf dem Posten - auch wenn ihm manche ein Ego-Problem unterstellen. Ein Behördenchef wie Maaßen solle sich nicht in die Politik einmischen, wird kritisiert. Gerade das habe er aber getan, als er sich wie zuvor Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mit Zweifeln an "Hetzjagden" in Chemnitz gegen Merkel und ihren Regierungssprecher Steffen Seibert stellte. Beide hatten solche Vorgänge nach den teils gewalttätigen Vorgängen in Chemnitz beklagt.

Bleibt auch noch die Frage, ob sich die SPD mit Maaßens Stellungnahme zufrieden gibt. Denn wenn Seehofer an Maaßen festhalten will, dürften alle Rufe nach Rücktritt wenig ausrichten. Den Sozialdemokraten bliebe neben aller Kritik nur, von Merkel zu verlangen, bei Seehofer auf die Entlassung des obersten Verfassungsschützers zu dringen. Die Kanzlerin könnte dann von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und Seehofer zur Entlassung Maaßens zwingen.

Von Seehofer selbst ist noch nicht bekannt, wie er sich in der Causa Maaßen positioniert. Sicherheitshalber hat der CSU-Chef schon am Montag eine Art Brandmauer zu seinem Behördenchef hochgezogen. Die Verantwortung für Maaßens Formulierungen und dessen Thesen bleiben natürlich bei dem Präsidenten, sagte er da. Am Dienstagmorgen soll es eine Besprechung des Ministers mit engen Mitarbeitern gegeben haben. Eine Tendenz, ob er letztlich doch den Daumen über Maaßen senken würde, habe Seehofer aber nicht durchblicken lassen.

Zur Verteidigungslinie Maaßens sind bislang nur Grundzüge bekannt. Sein am Montag ans Innenministerium und das Kanzleramt abgeliefertes fünfseitiges Erklärungsschreiben wird in der Regierung fast wie ein Staatsgeheimnis behandelt. Zugleich wird signalisiert, dass die vom "Spiegel" und der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlichte Stoßrichtung richtig liege: Maaßen erklärte demnach, das von ihm angezweifelte Video sei nicht gefälscht. Er sei hier falsch verstanden worden. Der BfV-Präsident kritisiere zudem, die schnelle Veröffentlichung des 19-Sekunden-Filmchens sei unseriös gewesen, weil niemand Quelle und Echtheit der Aufnahme habe einschätzen können.

Als Lesart von Maaßens Stellungnahme gilt: Der BfV-Präsident rudere zurück. Inhaltlich tut er das aber nicht wirklich - er erklärt seine Äußerungen lediglich. Gut möglich, dass der Geheimdienstmann über die Deutung dennoch nicht ganz unzufrieden ist - ein wenig Demut könnte dabei helfen, im Amt zu bleiben.

In der Union und in Sicherheitskreisen werden ein paar Gründe genannt, warum Maaßen wohl mit einem blauen Auge davonkommen könnte: Der BfV-Chef mache ja grundsätzlich gute Arbeit. Außerdem könne eine Entlassung nur noch weiter für Unruhe sorgen und der AfD weiteres Wasser auf ihre Mühlen leiten. Maaßen spreche zudem aus, was viele Menschen dächten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort