Auch innenpolitische Motive Wallonie: Warum eine Region der EU Ärger machen kann

Brüssel · Die Tourismusbranche der Wallonie wirbt mit "guter Laune und Geselligkeit". Das Lachen ist der Europäischen Union und Kanada im Streit mit der belgischen Region über das Freihandelsabkommen Ceta aber längst vergangen.

Die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland kämpfte stattdessen sichtlich mit den Tränen, als sie am Freitag ihre Hoffnung auf eine Ceta-Einigung für verloren erklärte.

Die französischsprachige Region im Süden Belgiens mit rund 3,6 Millionen Einwohnern bietet malerisch hügelige Landschaften und die regelmäßige Neuinszenierung der Schlacht von Waterloo, ringt aber auch mit Strukturkrise und Deindustrialisierung. Seit rund einer Woche hat sie die fast ungeteilte Aufmerksamkeit der EU.

Da hatte die Regionalregierung mit Rückendeckung des lokalen Parlaments ihr Veto dagegen eingelegt, dass Belgien den Handelspakt Ceta mit Kanada unterzeichnet. Dahinter stecken Bedenken der sozialistischen Regierung, dass Ceta belgische Sozial- und Umweltstandards aushöhlen und die Sozialversicherung sowie die Landwirtschaft der Wallonie schwächen könne.

Mit den Vorbehalten steht die Wallonie nicht allein da, aber dass sie die Macht zur Blockade des gesamten Abkommens hat, liegt am belgischen Föderalsystem. Ursprünglich auf Betreiben der Flamen im Norden erstritten sich die Regionen weitreichende Kompetenzen. Das gilt auch für internationale Verträge, sofern sie regionale Interessen betreffen. Alle fünf Regional- und Sprachvertretungen müssen zustimmen, sonst kann die Föderalregierung Ceta nicht unterschreiben.

Die Wallonie hat bei ihrer Ablehnung neben inhaltlichen auch innenpolitische Motive, wie der Politikwissenschaftler Dave Sinardet der Deutschen Presse-Agentur im Interview erklärte. Die in der Wallonie regierende Parti Socialist "hat kein Interesse daran, der Föderalregierung das Leben zu erleichtern, ganz im Gegenteil", sagt der Brüsseler Forscher. Denn erstmals ist die PS nicht an der belgischen Regierung beteiligt. Ministerpräsident Charles Michel stützt sich auf konservative und liberale Parteien.

Michel und sein Kabinett wiederum schienen sich um die Einwände der strukturschwachen Wallonie lange kaum zu scheren, hatten sie für Ceta doch den Rückhalt der wirtschaftlich potenten Flamen. "Die Föderalregierung hat das unterschätzt und wahrscheinlich gedacht, dass die wallonische Regierung ihre Meinung ändern und nachgeben würde", sagt Sinardet.

Da hat sie sich verrechnet. Zwar vermittelte die EU-Kommission einen Kompromiss zur besonderen Berücksichtigung der Bedenken aus der Regionalmetropole Namur. Die EU-Partner signalisierten auch, dass sie dies mittragen würden. Doch die Wallonie sagte am Donnerstagabend erneut Nein. Ministerpräsident Paul Magnette schlug am Freitag vor, die für kommenden Donnerstag geplante Unterzeichnung von Ceta solle verschoben werden. Freeland gab kurz darauf auf, die EU-Kommission sieht noch Hoffnung.

In Medien wurde spekuliert, dass Magnette auch mit Zugeständnissen der Föderalregierung umgestimmt werden könnte oder mit Strukturmitteln der EU. Öffentlich geredet wurde nur über Klarstellungen und Zusicherungen in einer Begleiterklärung zu Ceta, um Magnettes Bedenken zu entkräften.

In Belgien könnte der Machtkampf nach hinten losgehen, wie Experte Sinardet erläutert. Es beginne nun eine Debatte, ob die Regionalisierung nicht zu weit getrieben worden sei, sagt er. Beim Gipfel zeigte sich auch die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite bedient. "Ich glaube, wir sind zum Teil die Geiseln der Innenpolitik eines Landes", sagte sie am Freitag, auch wenn sie Schwächen bei der Vorbereitung von Ceta einräumte.

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