Caracas beschuldigt Kolumbien Viele offene Fragen nach vermeintlichem Anschlag auf Maduro

Caracas · Im Krisenstaat Venezuela kommt es nach Regierungsangaben zu einem Attentatsversuch gegen den autoritären Staatschef Maduro. Beweise werden nicht vorgelegt, dafür werden Zweifel an der offiziellen Version laut. Nimmt jetzt die Repression zu?

 Sicherheitsbeamte schützen Maduro.

Sicherheitsbeamte schützen Maduro.

Foto: XinHua

Cilia Flores duckt sich und schaut erschrocken in den Himmel - da ahnt man schon, dass irgendwas nicht stimmt. Auf der Bühne unterbricht in diesem Moment ihr Ehemann, Venezuelas sozialistischer Präsident Nicolás Maduro, seine Rede vor Tausenden Soldaten auf einer Straße in Caracas.

Dann herrscht für einen Augenblick Chaos. Im Staatsfernsehen ist eine Explosion zu hören, Soldaten flüchten in Panik, ehe die Übertragung abgebrochen wird. Ein versuchter Bombenanschlag gegen Maduro, heißt es kurze Zeit später.

Der Staatschef tritt später unversehrt vor die Kameras und erhebt ungeheuerliche Vorwürfe: sein kolumbianischer Kollege, Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos, sei Drahtzieher eines Komplotts. "Sie haben versucht, mich zu töten", sagt Maduro nach dem Vorfall am Samstagabend.

Er legt auch nahe, dass Exilvenezolaner aus den USA beteiligt gewesen seien. "Ich hoffe, Trumps Regierung ist bereit, diese Terrorgruppen zu bekämpfen", poltert er in seiner Ansprache. Maduro redet auch von ersten Festnahmen. Beweise legt er zunächst nicht vor.

Dafür tauchen kurze Zeit später erste Zweifel an der offiziellen Version auf: War es wirklich ein Attentatsversuch? Oder könnte es sich um eine Inszenierung handeln, um im autoritären Krisenstaat noch härter gegen Regierungsgegner vorzugehen?

In Venezuela ist es seit langem nicht einfach, die Wahrheit ausfindig zu machen. Unabhängige Journalisten und Andersdenkende werden verschleppt, staatliche Medien berichten so gut wie gar nicht über die schwere Versorgungskrise und über die Sorgen der Hunger leidenden Menschen in dem Land mit den größten Ölreserven der Welt. Für die katastrophale Wirtschaftslage und die höchste Inflation weltweit wird ein "Wirtschaftskrieg" der "Oligarchie" ausgemacht.

Auch Maduro, der 2013 die Nachfolge des verehrten, verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez antrat, bezichtigt immer "ultrarechte Kreise" der Sabotage und zahlreicher Umsturzpläne. Der Konservative Santos, der am Dienstag das Amt an seinen Nachfolger Iván Duque in Kolumbien übergibt, war oft das Ziel der Schmähreden Maduros. Santos ist einer der schärfsten Kritiker des Venezolaners. Die Regierung in Bogotá wies die letzten Anschuldigungen vehement zurück.

In Venezuela trauen die Menschen ihrer Regierung seit langem nicht über den Weg. Wie in der Region ansonsten nur im Einparteienstaat Kuba üblich stellen die Amtsmitteilungen die Wirklichkeit so verzerrt dar, dass sie kaum noch ernst genommen werden. Oppositionsgruppen zweifelten jetzt auch an der offiziellen Attentatsversion.

"Wir warnen davor, dass dieses konfuse Ereignis als Ausrede genutzt werden kann, um das verfassungsmäßige Recht des Volkes auf Protest abzuschaffen", schrieb die Oppositionsplattform Frente Amplio, ein Bündnis sozialdemokratischer und konservativer Parteien, Studentenvereinigungen und abtrünniger Chavistas. Die Gruppe befürchtete, dass der Vorfall von der Wirtschaftskrise ablenken und zu einer Verschärfung der Repression führen könnte.

Nach dem Zwischenfall kursierten viele Gerüchte. Einige Menschen sprachen über die Explosion eines Gastanks in einem nahe liegenden Gebäudes, also über einen Unfall. Die Nachrichtenagentur AP zitierte Feuerwehrleute, die der Anschlagsversion widersprachen.

Auf der anderen Seite berichteten Augenzeugen über Verletzte auf der Avenida Bolívar, der Rundfunksender VTV zeigte Bilder eines blutüberströmten Soldaten auf der Straße. Eine Überprüfung der unterschiedlichen Angaben war nicht möglich.

Zur Unklarheit trug das vermeintliche Bekenntnis einer bislang unbekannten Rebellengruppe bei. Die "Soldados de Franelas" (Flanell-Soldaten), die sich als "patriotische Militärs und Zivilisten" bezeichneten, gaben sich auf Twitter als Autoren des Drohnenanschlags aus.

"Es ging darum, zwei Drohnen mit (Sprengstoff) C4 zum Podest des Präsidenten zu fliegen, aber Scharfschützen der Ehrenwache schossen die beiden Drohnen ab, bevor sie ihr Ziel erreichten", hieß es dort. "Wir haben gezeigt, dass sie verwundbar sind, heute ist es nicht gelungen, aber das ist nur eine Frage der Zeit", schrieb die Gruppe weiter. Alles nur eine Montage?

Der Vorfall erinnert an einen vermeintlichen Anschlag vom Juni 2017. Offiziellen Angaben zufolge kaperte damals der Polizeipilot und Hobbyschauspieler Óscar Pérez einen Hubschrauber und feuerte Granaten auf das Innenministerium in Caracas ab. Monate später wurde Pérez nach Regierungsangaben bei einem Militäreinsatz bei Caracas getötet. Bislang gibt es mehr Fragen als Antworten zu dem Fall.

Zunächst stellten sich nur befreundete Regierungen hinter Maduro. Neben der Türkei und Russland solidarisierten sich mit ihm Bolivien, Kuba und Nicaragua. Das sei das Werk von "Terroristen", sagte Nicaraguas Regierungssprecherin Rosario Murillo, die Frau von Staatschef Daniel Ortega. Ortega selbst steht seit Wochen an dem Pranger wegen der blutigen Niederschlagung von Studentenprotesten.

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