Bisher einmaliger Fall USA schieben früheren Nazi-Kollaborateur nach Deutschland ab

Berlin/Washington · 14 Jahre lang wollten ihn die US-Behörden abschieben: Nach einer Intervention Trumps willigte die Bundesregierung nun ein, einen 95-jährigen früheren SS-Mann einreisen zu lassen. Aus moralischen Gründen, nicht aus rechtlichen.

 Palij nahm 1957 die amerikanische Staatsbürgerschaft an.

Palij nahm 1957 die amerikanische Staatsbürgerschaft an.

Foto: US Department of Justice/Archiv

Nach jahrelangen Bemühungen haben die USA einen 95-jährigen früheren SS-Mann nach Deutschland abgeschoben.

Es ist ein bisher einmaliger Fall: Die Bundesregierung genehmigte die Einreise, obwohl der ehemalige Wärter eines NS-Arbeitslagers kein deutscher Staatsbürger ist und auch keine Beweise vorliegen, dass er an Nazi-Verbrechen beteiligt war. US-Präsident Donald Trump hatte sich persönlich für die Abschiebung eingesetzt. "Die Vereinigten Staaten werden niemanden tolerieren, der NS-Verbrechen und andere Menschenrechtsverstöße unterstützt hat, und diese Personen werden auf amerikanischem Boden keine Zuflucht finden", erklärte das Weiße Haus am Dienstag.

Ein Gerichtsverfahren gegen den Mann ist unwahrscheinlich. Das von der Staatsanwaltschaft Würzburg geführte Verfahren gegen ihn wegen Beihilfe zum Mord Mitte wurde 2016 aus Mangel an Beweisen eingestellt. Der frühere Nazi-Kollaborateur kommt nun in einem Pflegeheim im nordrhein-westfälischen Ahlen unter.

Außenminister Heiko Maas begründete die Aufnahme des Mannes mit der deutschen Verantwortung für den Holocaust. "Historische Verantwortung kennt keinen Schlussstrich", sagte er der "Bild"-Zeitung. Der Erinnerung an die Gräuel der Nazi-Zeit heute gerecht zu werden heiße, gegen Antisemitismus, Diskriminierung und Rassismus zu kämpfen. "Und es heißt, zu unserer moralischen Verpflichtung gegenüber den Opfern und nachfolgenden Generationen zu stehen." Die Schuld derer, die in deutschem Namen schlimmste Verbrechen begangen hätten, vergehe nicht. Maas hatte am Montag als erster deutscher Außenminister seit 26 Jahren die KZ-Gedenkstätte Auschwitz besucht und auch dort die deutsche Verantwortung für die Nazi-Gräueltaten betont.

Jakiw Palij war laut US-Behörden von der SS geschult worden und als bewaffneter Aufseher im NS-Zwangsarbeitslager Trawniki in dem von Nazi-Deutschland besetzten Polen tätig. Dort wurden im November 1943 den Angaben zufolge 6000 Juden erschossen. Ob Palij daran beteiligt war, ist aber nicht erwiesen. Nach US-Angaben soll er aber während des Massakers vor Ort gewesen sein. "Wir wissen, dass er zu der Zeit dort war", sagte US-Botschafter Richard Grenell.

Palij wurde nach US-Angaben in dem Teil des damaligen Polen geboren, der heute zur Ukraine gehört. 1949 sei er in die USA ausgewandert und habe 1957 die US-Staatsbürgerschaft angenommen. Er habe den USA damals seine Nazi-Vergangenheit verheimlicht und angegeben, auf einem Bauernhof und in einer Fabrik gearbeitet zu haben. Ein US-Gericht hatte Palij bereits 2003 die Staatsbürgerschaft entzogen. 2004 wurde seine Abschiebung erstmals angeordnet - zunächst ohne Erfolg.

Der Grund dafür war, dass Palij seit 2003 staatenlos war - also kein deutscher Staatsbürger. Zudem fehlten die Beweise gegen ihn, um ein Strafverfahren zu eröffnen. Deswegen war Deutschland nicht dazu verpflichtet, eine Einreisegenehmigung zu erteilen. Es hätte aber die Möglichkeit nach Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes gehabt. Dort heißt es, das Bundesinnenministerium könne "zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme" anordnen.

Genau dafür hat sich Innenminister Horst Seehofer (CSU) jetzt entschieden. "Die Bundesregierung setzt mit der Aufnahme Palijs ein klares Zeichen der historischen und moralischen Verantwortung Deutschlands", erklärte sein Ministerium. Ausschlaggebend seien zunehmende Bitten von Vertretern der jüdischen Gemeinden und Opferverbände, der US-Regierung, Senatoren und Kongressabgeordneten gewesen.

Der Fall war Trump offenbar ein persönliches Anliegen. Palij lebte in Queens, dem New Yorker Stadtteil, in dem der US-Präsident geboren wurde. Als Trump im Mai Grenell als Botschafter nach Deutschland entsandte, beauftragte er ihn damit, sich mit höchster Priorität für die Abschiebung des Nazi-Kollaborateurs einzusetzen. Grenell sprach das Thema gleich bei seinem Antrittsbesuch bei Maas an. Danach ging es sehr schnell.

"Für uns ist das ein Fall von moralischer Verpflichtung, weil diese Person im Namen der früheren deutschen Regierung gehandelt hat. Darüber waren sich beide Seiten absolut einig", sagte Grenell. Er lobte auch ausdrücklich die Zusammenarbeit mit Seehofer und Maas. Vor allem Seehofer habe "eine kreative Sichtweise auf die Sache" entwickelt. "Es scheint in der neuen Regierung eine neue Energie entstanden zu sein", sagte Grenell.

Nach US-Angaben hat es seit 2005 acht Fälle gegeben, in denen eine Abschiebung nicht gelungen sei. Die Betroffenen seien dann in den USA gestorben. Der Fall Palij ist nun der letzte eines Nazis oder Kollaborateurs, in dem die USA eine Abschiebung betrieben haben.

Und wie geht es mit dem 95-Jährigen nun weiter? Der Fernsehsender ABC zeigte am Dienstag Bilder, die seinen Abtransport von seinem Haus in Queens auf einer Trage zeigen. Neue Ermittlungen in Deutschland wird es nach Angaben der Staatsanwaltschaft zunächst nicht geben. Sollten sich keine neuen Beweise ergeben, bleibe der 95-Jährige ein "nicht mehr Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren in Deutschland", sagte der Leitende Oberstaatsanwalt der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, Jens Rommel, in Ludwigsburg. Eine Einstellung solcher Verfahren sei aber "nichts für die Ewigkeit", sollten sich neue Beweise ergeben.

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