Masar-i-Scharif Truppenbesuch in einem fast vergessenen Einsatz

Masar-i-Scharif · Afghanistan? Bundeswehr? Da war doch was. Ja, richtig: Der gefährlichste, verlustreichste und teuerste Einsatz in der Geschichte der Truppe. Es gibt ihn immer noch, auch wenn er in Deutschland kaum noch wahrgenommen wird.

Es gab Zeiten, da ist der Bundesverteidigungsminister alle zwei Monate nach Afghanistan gereist, um nach dem Rechten zu sehen. Später waren es alle drei Monate, dann sank die Besuchsfrequenz auf zwei Mal im Jahr.

Inzwischen kommt die Verteidigungsministerin nur noch kurz vor Weihnachten vorbei. Wie in den vergangenen drei Jahren steht sie am Donnerstag auf dem Adventsmarkt des Camp Marmal, spricht mit Soldaten, lässt sich mit ihnen fotografieren.

Von der Leyen war es wichtig, trotz des Anschlags in Berlin nach Afghanistan zu kommen. Als am Montagabend der Lastwagen an der Berliner Gedächtniskirche in den Weihnachtsmarkt raste und zwölf Menschen starben, war sie im westafrikanischen Mali unterwegs. Auf dem Rückflug entschied sie sich relativ rasch dafür, trotzdem nach Afghanistan zu reisen - allerdings mit kleiner Pressedelegation und verkürztem Programm.

Der Besuch wirft ein seltenes Schlaglicht auf einen Einsatz, der immer noch der größte der Bundeswehr ist. In Deutschland wird er aber kaum noch wahrgenommen. Andere Einsätze sind in den Vordergrund getreten. In ihrem Tagesbefehl zum Jahresende nennt von der Leyen zuerst Afrika, den Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) und die Marine-Einsätze im Mittelmeer. Afghanistan wird erst später genannt, obwohl es auch in diesem Einsatz um den Kampf gegen den Terror und die Bekämpfung von Fluchtursachen geht.

Vor einigen Jahren war das noch ganz anders. Da waren noch mehr als 5000 Soldaten am Hindukusch. Ständig gab es Meldungen über Anschläge auf Bundeswehrpatrouillen, über Gefechte, Tote und Verletzte. Trauerfeiern wurden live im Fernsehen übertragen. Im Bundestag wurde heftig über den Einsatz gestritten und es gab breite Debatten darüber, welche Panzer und Artilleriegeschütze in den Einsatz gehören. Der Afghanistan-Einsatz hat die Bundeswehr und die deutsche Gesellschaft verändert.

Und jetzt? "Wir wissen, dass sich in Deutschland niemand für uns interessiert", sagt ein Hauptfeldwebel, der seit sechs Wochen im Camp Marmal ist. "Aber deswegen sind wir nicht hier. Wir wollen den Menschen hier helfen."

Nach dem Ende des Kampfeinsatzes vor zwei Jahren war die Truppe auf unter 1000 Soldaten geschrumpft. Von den rund 800 Soldaten, die jetzt noch in Masar-i-Scharif sind, sind 37 für die Kernaufgaben Beratung und Ausbildung der afghanischen Streitkräfte abgestellt. Die anderen kümmern sich um die Verwaltung des Einsatzes.

Dabei ist das Ende der Gewalt in Afghanistan nicht näher gerückt - im Gegenteil. Um 22 Prozent ist laut UN die Zahl der "bewaffneten Auseinandersetzungen" in Afghanistan 2016 gegenüber 2015 angestiegen (bis Oktober). Die Zahl der zivilen Opfer wächst weiter, die Kriegsvertriebenen gehen in die Hunderttausende: Mitte Dezember sind es mit 580 000 Menschen schon mehr als doppelt so viele wie zu Anfang des Jahres noch befürchtet. Gegenden, die als recht sicher galten, sind es nicht mehr. Erst in der Nacht auf Donnerstag haben Taliban mitten in der Hauptstadt Kabul das Haus eines Parlamentariers überfallen und acht Menschen getötet.

Und im November hatten erstmals seit langem die Taliban auch wieder Deutsche angegriffen. Im ebenfalls als relativ sicher geltenden Masar-i-Scharif versuchten sie, sich mit einem Lastwagen voller Sprengstoff in das deutsche Generalkonsulat zu bomben. Sechs Menschen wurden getötet, 128 verletzt. Der Knall war bis ins zwölf Kilometer entfernte Camp Marmal zu hören.

Erst 2013 war das Generalkonsulat in einem belebten Teil der Stadt eröffnet worden. Als ein Symbol für die Wende vom Militärischen zum Zivilen war es gedacht. Jetzt zieht sich das Zivile wieder ins Militärische zurück: Das Generalkonsulat liegt nun hinter den Mauern eines Nato-Feldlagers - eine Kapitulation vor der Gewalt.

Die mit von der Leyen reisenden Journalisten dürfen die neue Behausung der Vertretung nicht sehen. Es handele sich um einen "Hochsicherheitsbereich". Eigentlich ist in einem Konsulat ganz normaler Besucherverkehr zur Ausgabe von Visa oder Pässen vorgesehen.

In ihrer Ansprache schlägt von der Leyen den Bogen vom internationalen Kampf gegen den Terror zu den Ereignissen zu Hause. "Sie stehen dafür ein, dass wir uns nicht unterkriegen lassen vom Terror, dass wir uns wehren, gegen diejenigen, die die Menschen terrorisieren", sagt sie mit Blick auf den schrecklichen Anschlag in Berlin. Die Soldaten in Masar-i-Scharif stimmt sie darauf ein, dass sie noch eine Weile bleiben müssen. "Es ist so viel erreicht worden. Das dürfen wir nicht dadurch gefährden, dass wir vorschnell abziehen."

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