Terroranschlag in Ankara fordert fast 100 Opfer

Istanbul · Nach den zwei Bombenexplosionen in Ankara mit mindestens 95 Toten wird in der Türkei der Opfer des Anschlags gedacht. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen.

 Trauer und Fassungslosikeit herrscht nach dem blutigen Anschlag vor dem Hauptbahnhof in Ankara. Foto: epa/str

Trauer und Fassungslosikeit herrscht nach dem blutigen Anschlag vor dem Hauptbahnhof in Ankara. Foto: epa/str

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Am Samstagmorgen waren bei einer regierungskritischen Friedensdemonstration vor dem Hauptbahnhof in der Hauptstadt zwei Sprengsätze detoniert. Zu der Tat, bei der auch 246 Menschen verletzt wurden, bekannte sich zunächst niemand. Der Anschlag war der schwerste in der jüngeren Geschichte der Türkei. In dem Land stehen in drei Wochen Neuwahlen für das Parlament an.

Davutoglu zufolge wurde der Anschlag wahrscheinlich von zwei Selbstmordattentätern verübt. Er verdächtigte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und zwei linksextremistische Terrorgruppen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan versprach eine Aufklärung des Attentats.

Zu der Demonstration hatten die pro-kurdische Partei HDP und andere regierungskritische Gruppen aufgerufen. Die HDP sah sich als Ziel des Anschlags und machte der politischen Führung des Landes schwere Vorwürfe. In der Millionenmetropole Istanbul demonstrierten am Abend rund 2000 Menschen gegen die Regierung. In Sprechchören wurde die PKK zu Vergeltungsaktionen aufgefordert.

Ende Juli war der Konflikt zwischen türkischer Regierung und PKK eskaliert. Beide warfen sich gegenseitig vor, einen mehr als zwei Jahre anhaltenden Waffenstillstand gebrochen zu haben. Seither verübt die PKK immer wieder Anschläge auf Sicherheitskräfte im Südosten der Türkei. Die Armee wiederum fliegt regelmäßig Luftangriffe gegen PKK-Stellungen in der Türkei und im Nordirak.

Erdogan erklärte zu dem Anschlag: "Ich verurteile diesen abscheulichen Angriff zutiefst, dessen Ziel die Einheit, Solidarität und der Frieden unseres Landes gewesen ist." Der Ko-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas, hingegen sagte: "Das ist kein Angriff auf die Einheit unseres Landes oder dergleichen, sondern ein Angriff des Staates auf das Volk." Er fügte an: "Ihr seid Mörder. An Euren Händen klebt Blut." Demirtas kritisierte, die islamisch-konservative Regierung habe weder den Anschlag auf pro-kurdische Aktivisten im Juli im südtürkischen Suruc noch den auf eine HDP-Wahlveranstaltung im Juni in der Kurdenmetropole Diyarbakir aufgeklärt.

Ein HDP-Funktionär, der anonym bleiben wollte, sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Führung des Landes habe den Anschlag "entweder organisiert oder nicht verhindert". Die Verdächtigungen Davutoglus nannte er "Unsinn". Möglicherweise wolle die Regierung den Anschlag dazu nutzen, die für den 1. November geplante Neuwahl abzusagen.

Wie die Nachrichtenagentur Anadolu meldete, wurde die Aussendung von Bildern des Anschlags und des Geschehens danach untersagt. Das Büro des Ministerpräsidenten habe für das Verbot Gründe der öffentlichen Sicherheit vorgebracht.

US-Präsident Barack Obama sprach nach Angaben des Weißen Hauses in einem Telefonat mit Erdogan von einer heimtückischen Attacke und bekräftigte die Solidarität der Amerikaner mit der türkischen Bevölkerung im Kampf gegen Terrorismus. Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk sicherte der Türkei Unterstützung zu. "Die Europäische Union steht an der Seite der Türkei, seiner Bürger und der Behörden, wenn es um den Kampf gegen Terrorismus und die Bemühungen um Aussöhnung geht", ließ er mitteilen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schrieb an Davutoglu, sollte sich bestätigen, dass es sich wie vermutet um die Taten von Terroristen handele, "dann handelt es sich um besonders feige Akte, die unmittelbar gegen Bürgerrechte, Demokratie und Frieden gerichtet sind". Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte, die Täter wollten offensichtlich vor den Wahlen ein Klima der Angst schüren.

Auch in mehreren deutschen Städten gingen nach dem Anschlag spontan Hunderte Menschen auf die Straße. Pro-kurdische Demonstrationen gab es unter anderem in Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main und Stuttgart. Die Polizei sprach von einem friedlichen Verlauf der Proteste.

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