Analyse Tempelberg-Streit lässt Nahost-Konflikt neu aufflammen

Jerusalem · Nicht umsonst gilt der Tempelberg in Jerusalems als Pulverfass im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Immer wieder entzünden sich blutige Gewaltwellen am Streit um die heilige Stätte.

Das neue Blutvergießen in Nahost war eigentlich eine absehbare Tragödie. Israels Inlandsgeheimdienst Schin Bet und andere Sicherheitsexperten hatten Ministerpräsident Netanjahu nach Medienberichten eindringlich gewarnt, der Streit um Metalldetektoren am Tempelberg könne gefährlich eskalieren.

Bis zur letzten Minute gab es fieberhafte Beratungen, wie die neue Krise um die heilige Stätte zu lösen sei. Doch dann nahm das Unheil seinen Lauf - nach den Freitagsgebeten explodierte die Gewalt. Drei tote Palästinenser und Hunderte Verletzte bei Unruhen, drei tote Israelis bei einem blutigen Anschlag in einer Siedlung.

In der Nacht zum Freitag hatte Netanjahus Sicherheitskabinett nach stundenlangen Debatten entschieden, die umstrittenen Metalldetektoren an Eingängen zum Tempelberg vorerst nicht abzubauen. Israel rechtfertigt sie mit Sicherheitserwägungen - nach einem tödlichen Anschlag auf zwei israelische Polizisten, den die drei Attentäter vor gut einer Woche von der heilige Stätte aus verübten.

In den Augen der Palästinenser sind die Metalldetektoren jedoch eine unerträgliche Provokation. Sie werten die Kontrollen als Versuch Israels, mehr Einfluss über das Plateau zu gewinnen, das beiden Seiten heilig ist, aber islamischer Kontrolle untersteht.

"Wir lehnen die Metalldetektoren ab, weil sie ein politischer Akt unter dem Deckmantel von Sicherheitsmaßnahmen sind, der auf eine Kontrolle der Al-Aksa-Moschee abzielt", sagte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Er warf Israel vor, es wolle eine Wiederbelebung des Friedensprozesses verhindern und "den Konflikt von einem politischen in einen religiösen verwandeln".

Palästinensische Repräsentanten heizten die explosive Lage weiter an, indem sie Muslime zum Massengebet auf dem Tempelberg aufforderten. Der Chef der radikal-islamischen Hamas, Ismail Hanija, forderte einen "Tag des Zorns" am Freitag. Jerusalem und die Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg seien eine "rote Linie", die Israel überschritten habe.

Dabei halten Sicherheitsexperten die Metalldetektoren für relativ überflüssig, wie die israelische Zeitung "Haaretz" berichtete. Sie seien leicht zu umgehen. Netanjahu steht jedoch unter Druck seiner rechten Koalitionspartner, in Jerusalems Altstadt und am Tempelberg mehr Präsenz zu zeigen.

Auch Abbas steht intern stark unter Druck. Nach dem tödlichen Anschlag auf die israelischen Polizisten hatte er noch ein versöhnliches Telefongespräch mit Netanjahu geführt. Nach den blutigen Unruhen am Freitag brach er dann alle Kontakte zu Israel ab. Es besteht auch die Sorge, die Krise könnte Israels Beziehungen zum jordanischen Nachbarn schaden, dem Hüter der islamischen Stätten in Jerusalem.

Offen bleibt allerdings, ob Abbas seiner Ankündigung wirklich Taten folgen lässt und ob damit auch die wichtige Sicherheitszusammenarbeit beider Seiten endet. Bereits im September 2015 hatte Abbas in einer dramatischen Erklärung die Friedensabkommen mit Israel aufgekündigt. Die Zusammenarbeit ging dennoch weiter.

Klar ist jedoch, dass das Brachliegen von Friedensverhandlungen beider Seiten seit inzwischen mehr als drei Jahren ein gefährliches Vakuum schafft, das immer neue Gewaltausbrüche begünstigt. Im neuen Jahresbericht des US-Außenministeriums zu Terrorismus heißt es, die palästinensische Gewalt werde auch angeheizt durch einen "Mangel an Hoffnung auf einen eigenen Staat", den israelischen Siedlungsbau im Westjordanland, Siedlergewalt und harte Militäreinsätze. US-Präsident Donald Trump hat zwar einen neuen Anlauf zur Lösung des Konflikts in Aussicht gestellt, bisher gab es dabei jedoch kaum Bewegung.

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