Riskante Bergung Helfer retten weitere Überlebende aus verschüttetem Hotel

Rom · Im italienischen Erdbebengebiet wird unmöglich geglaubtes wahr: Auch 48 Stunden nach dem Lawinenunglück in Farindola ziehen Rettungskräfte noch Überlebende aus dem verschütteten Hotel. Viele Menschen werden aber noch vermisst.

 Ein überlebender Jugendlicher wird aus dem von einer Lawine verschütteten Hotel Rigopiano in Farindola geborgen.

Ein überlebender Jugendlicher wird aus dem von einer Lawine verschütteten Hotel Rigopiano in Farindola geborgen.

Foto:  Italienische Feuerwehr

Zuvor hatten sie bereits einen Jungen ins Freie gebracht. Mindestens zehn Menschen hätten das schwere Unglück überlebt, sagte Zivilschutz-Chef Fabrizio Curcio am Abend bei einer Pressekonferenz in Rieti. Fünf - die vier Kinder und eine Frau - seien bereits aus dem verschütteten Hotel gerettet worden, sie waren mehr als 40 Stunden eingeschlossen. Die Rettungskräfte waren dabei, weitere fünf herauszuholen, sagte Curcio. Die Suche lief auch am Abend in Farindola weiter, hieß es bei der Feuerwehr.

Seit Freitagvormittag hatten die Einsatzkräfte nach und nach mehrere Menschen aus dem Hotel gerettet, im Laufe des Tages hatte es immer wieder widersprüchliche Angabe zur Zahl der Überlebenden und bereits Geretteten gegeben. Der Zustand der bereits im Krankenhaus in Pescara eingetroffenen Überlebenden sei gut, sagte ein Arzt am Freitag. Einige hätten Unterkühlungen, niemand sei aber in einem kritischen Zustand. Das Glück der Überlebenden sei gewesen, dass sie nicht in direkten Kontakt mit dem kalten Schnee gekommen seien.

Dutzende Menschen wurden am Abend aber weiterhin vermisst. Der Zivilschutz hoffte auf weitere Überlebende. "Wir haben diese Hoffnung immer gehabt", sagte Zivilschutz-Chefin Titti Postiglione am Freitagnachmittag. Nachdem am Vormittag die ersten Überlebenden gefunden worden waren, sei die Hoffnung gestiegen. Mehr als 130 Rettungskräfte waren laut Postiglione am Freitag rund um das Hotel Rigopiano im Einsatz. Die Helfer, unter ihnen Lawinenexperten, arbeiteten unter sehr riskanten Bedingungen.

Eine gerettete Mutter und ihr Sohn seien in gutem Zustand, sagte ein Sprecher des Zivilschutzes der Deutschen Presse-Agentur. Medienberichten zufolge sind sie die Angehörigen eines 38-Jährigen, der sich wie eine andere Person im Freien aufgehalten hatte, als die Lawine über das Hotel hineinbrach, und das Unglück so überlebte. Der erste Kontakt zu den mittlerweile Geretteten war kurz nach 11.00 Uhr am Freitag zustande gekommen. Bislang haben die Behörden zwei Todesopfer in dem Hotel bestätigt.

Die gewaltige Lawine hatte am Mittwoch das Vier-Sterne-Hotel nach einer Erdbebenserie komplett verschüttet und Teile mitgerissen. Nach Aussage des Hoteldirektors waren bis zu 35 Menschen in dem Gebäude. Es war vermutet worden, dass die Lawine von den Erdstößen ausgelöst wurde, eine offizielle Bestätigung dafür gab es aber bislang nicht.

Das Rigopiano liegt auf 1200 Metern Höhe am Fuß des bis über 2900 Meter hohen Bergmassivs Gran Sasso. Es ist etwa 45 Kilometer von der Adriaküste entfernt. Auf seiner Facebook-Seite hatte es sich als Wohlfühloase im Schnee präsentiert. Der Präsident der Bergretter der Region Piemont, Luca Giaj Arcota, sagte Ansa, dass Trümmer und Möbel in bis zu 400 Metern Entfernung vom Hotel gefunden worden seien. "Das heißt, die Suche auf einer sehr weiten Fläche wird noch lange dauern."

In den Abruzzen hatte es seit Tagen geschneit, der Schnee lag zum Teil meterhoch. Augenzeugen sprachen von apokalyptischen Szenen am Unglücksort. Die Gäste hatten offenbar nach den vier schweren Erdbeben am Mittwoch abreisen wollen und bereits ausgecheckt. Es kam aber kein Fahrzeug durch, um sie mitzunehmen. Die letzten Kilometer des Zufahrtsweges waren dicht. Die ersten Retter mussten sich in der Nacht zum Donnerstag auf Skiern zum Unglücksort vorkämpfen und kamen dort gegen 04.30 Uhr an.

Bundeskanzlerin Angela Merkel versicherte den Italienern, dass Deutschland nach den jüngsten Naturkatastrophen an ihrer Seite stehe. In einem Kondolenzschreiben an Ministerpräsident Paolo Gentiloni schrieb sie: "Ihnen und den italienischen Bürgerinnen und Bürgern möchte ich in diesen schweren Stunden die Anteilnahme meiner Landsleute und mein ganz persönliches Mitgefühl übermitteln."

Der italienische Ministerrat machte am Freitag 30 Millionen Euro Erdbebenhilfe frei. Derweil untersucht die Staatsanwaltschaft in Pescara, ob menschliches Versagen oder fahrlässige Tötung vorliegen.

In der Abruzzenregion kommen die Menschen nicht zur Ruhe. Seit einem schweren Erdbeben im August mit rund 300 Toten gibt es immer wieder Erdstöße, zuletzt am Mittwoch, als vier starke Beben die Region erschütterten. In Amatrice, wo es im August die meisten Toten gab, stürzte am Mittwoch der bis dahin noch stehende Uhrenturm ein. Ministerpräsident Paolo Gentiloni dankte auf Twitter den unzähligen zivilen und militärischen Helfern, die Leben retteten und das Unglück minderten.

Außer den beiden bestätigten Toten im Berghotel waren bis Freitag vier weitere Todesopfer in der Region zu beklagen. Nach den neuen Erdstößen diese Woche wurden viele Bewohner von der Außenwelt abgeschnitten. Am Freitag wurden in Acquasanta Terme nördlich von Amatrice sechs Menschen mit einem Hubschrauber in Sicherheit gebracht, wie Ansa meldete. Die älteste der Geretteten war eine Frau von 90 Jahren.

Der italienische Energiekonzern Enel teilte am Freitag mit, dass in den Abruzzen noch knapp 60 000 Haushalte von der Stromversorgung abgeschnitten seien. Mehr als 160 000 weitere seien schon wieder angeschlossen worden.

Weitere Infos

  • Wenn eine Lawine Menschen unter sich begraben hat, muss schnell gehandelt werden. Bei ungeschützt Verschütteten - etwa Skifahrern - sinkt die Überlebenschance bereits nach 15 Minuten rapide: Einerseits können ihre Atemwege von Schnee und Eis verstopft sein, andererseits drückt das massive Gewicht der Schneemassen auf ihren Brustkorb und behindert so die Atmung. Nach Angaben des Schweizer WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung werden nur etwa 50 Prozent der Verschütteten lebend geborgen.

Haben sich Personen bei einem Lawinenabgang in Gebäuden aufgehalten - wie etwa jetzt in Italien -, können sie unter Umständen in Luftkammern, in denen ausreichend Sauerstoff vorhanden ist, länger überleben. Auch erfrieren sie womöglich weniger schnell. Eine Körpertemperatur unter 30 Grad ist lebensbedrohlich.

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