Razzien in Belgien Molenbeek - Hauptstadt des Terrors?

Brüssel · Brüssel. Eben noch fasziniert der malerische Grand Place, Brüssels touristische Visitenkarte. Nur vier Metro-Stationen weiter scheint die Welt eine andere: Molenbeek. Hierher verirrt sich kein Besucher. Und wenn doch, dann kann es ihm passieren, dass ein liebenswürdiger Belgier ihn freundlich darauf hinweist, "an dieser Haltestelle lieber nicht auszusteigen". Endlos lange Straßenzüge, graue Betonklötze, heruntergekommene Altbauten.

 Anti-Terror-Fahnder suchen Verdächtige in Molenbeek.

Anti-Terror-Fahnder suchen Verdächtige in Molenbeek.

Foto: dpa

Ein paar Geschäftsschilder lockern das Bild nur behelfsmäßig auf. Ein Lebensmittelmarkt, unweit davon die rosafarbene Werbung für den Laden "Traum der Frauen", wo Kaftane, Burkas, Kosmetik und Unterwäsche angeboten werden. "Hier fallen islamistische Terroristen nicht auf", sagt Taxifahrer Mohammed (41), der höchst ungern den Auftrag nach Molenbeek angenommen hat. "Da passiert ständig etwas", erzählt er weiter. "Sie sollten hier nicht alleine losgehen." Am Samstag waren die Beamten in Molenbeek, am Sonntag wieder. Am gestrigen Montag sperrten sie die Rue Ransfort im Zentrum ab, weil im Haus Nummer 103 einer der Drahtzieher der Anschläge von Paris vermutet wurde.

"Es scheint, als ob alle radikalen Islamisten schon einmal in Molenbeek-Saint-Jean gelebt hätten", sagte am Sonntag die sichtlich entmutigte Bürgermeisterin Françoise Schepmans, die eine kleine Koalition unter Führung ihrer liberalen Partei leitet.

Tatsächlich gilt Molenbeek mit seinen 92 000 Einwohnern fast schon als Hochburg und Zentrum des europäischen Dschihadismus. "Es gab lange keine Integrationspolitik. Das müssen wir jetzt ändern", meinte Schepmans. Das dürfte schwer werden. In den zurückliegenden Jahren wurden zahlreiche Industriebetriebe geschlossen. Die örtliche Verwaltung wollte die Arbeitsplatzverluste durch die Neuansiedlung von Dienstleistungsbetrieben wettmachen. Das misslang gründlich. Heute ist jeder dritte Einwohner von Molenbeek ohne Job - trotz der relativ zentralen Lage.

Hinzu kommen die Konsequenzen einer nicht vorhandenen oder verfehlten Integrationspolitik. Rund 25 Prozent der Einwohner können keinen belgischen Ausweis vorlegen. Über Jahre hinweg sammelten sich in Molenbeek die Einwanderer, vor allem aus Marokko.

Man isolierte sich von den belgischen Nachbarn - oder verdrängte sie. Er habe lange in Molenbeek gelebt, erzählt der 73-jährige Jean, ehe er "aus Angst" weggezogen sei. "Jahrelang haben Polizei und Behörden nichts gemacht. Jetzt darf man sich nicht wundern, wenn man ausgerechnet hier immer wieder Terroristen verhaftet."

Dabei zeigt Molenbeek wie im Brennglas die Probleme, die es in vielen Städten vom Schlage Brüssels gibt. Da sind die wohlhabenden Vororte wie Kraainem, wo selbst die Straßenbahnen auf weichen Rasen-Teppichen fahren. Nur wenige Straßen weiter die heruntergekommenen, zusammengedrängten Altbauten mit ihren Billigwohnungen, in denen arbeitslose Menschen etwas gefunden haben, was man wohl nur als "Unterkunft" bezeichnen kann. Die Parallelen zu den Banlieues rund um Paris sind auffallend. Bei einer Jugendarbeitslosenquote von 21 Prozent wird leicht verständlich, warum radikale Botschaften hier auf besonders fruchtbaren Boden fallen.

In keinem EU-Mitgliedsland gibt es - im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung - mehr junge Männer und Frauen, die in den sogenannten Heiligen Krieg nach Syrien zogen.

Rund 650 ließen sich von teilweise professionell arbeitenden Organisationen wie "Sharia4Belgium" anwerben, kämpften für den IS und kamen irgendwann zurück. "Jeder von ihnen ist hochgefährlich", hieß es von Sachverständigen, als den 46 Mitgliedern der Sharia-Gruppe Mitte des Jahres in Antwerpen der Prozess gemacht wurde. "Sie gingen, weil sie keine Perspektive hatten, sie kommen als ausgebildete Kämpfer zurück und sie haben immer noch keine Aussichten auf ein geregeltes Leben."

Ob das nach der Attentatsserie von Paris nun anders wird? "Ich glaube nicht daran", sagte gestern der Tankstellen-Pächter Jussuf. Der 38-Jährige sagt: "Sehen Sie doch mal raus: Jetzt sind sie alle da: Polizei, Kameras, Politiker. Morgen sind sie wieder weg und dann geht hier alles weiter wie immer - bis zum nächsten Mal."

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