Nach 373 Verhandlungstagen Juristisches Hickhack verzögert NSU-Plädoyers

München · Endlich, so dachte man. Endlich, nach mehr als vier Jahren und 373 Verhandlungstagen Beweisaufnahme, sollten im Münchner NSU-Prozess die Plädoyers beginnen. Doch am Ende kommt es anders - wieder einmal.

 Richter Manfred Götzl musste die im NSU-Prozess geplanten Plädoyers der Anklage nach langen Diskussionen vertagen.

Richter Manfred Götzl musste die im NSU-Prozess geplanten Plädoyers der Anklage nach langen Diskussionen vertagen.

Foto:  Tobias Hase

Bundesanwalt Herbert Diemer hat sein Manuskript, so sieht es jedenfalls von Weitem aus, schon vor sich liegen. Die Presse- und Besuchertribüne im Münchner NSU-Prozess ist voller als sonst, Kameraleute und Fotografen warten auf die entscheidenden Bilder dieses Tages.

Es ist eigentlich alles angerichtet: Diemer könnte, so die Ansage vom Vortag, sogleich mit seinem Plädoyer beginnen. Nach mehr als vier Jahren und 373 Verhandlungstagen Beweisaufnahme. Biegt das Mammutverfahren also endlich, endgültig auf die Zielgerade ein?

Die Blicke richten sich auf Beate Zschäpe. Wie eigentlich immer in den vergangenen Monaten betritt sie den Gerichtssaal entspannt lächelnd. Heute hat sie die Haare mal wieder zusammengebunden.

Dass der Prozesstag ein anderes Ende nehmen könnte, deutet sich aber relativ schnell an - und wird von Stunde zu Stunde klarer. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ergreift das Wort, gibt einen Gerichtsbeschluss bekannt: Die Anträge aller Verteidiger, das Plädoyer der Ankläger aufzuzeichnen - abgelehnt.

Eine Tonaufnahme sei "für eine sachgerechte Verteidigung nicht erforderlich", trägt Götzl vor - und verzichtet dabei auch nicht auf den einen oder anderen Seitenhieb auf die Anwälte: Das Mitschreiben gehöre - so trägt er sinngemäß vor - für jeden Juristen schlichtweg zum Job dazu.

Damit beginnt ein Hickhack, wie man es von vielen NSU-Prozesstagen gewohnt ist und wie es in manchen Verfahren durchaus üblich ist: Es gibt einen Gerichtsbeschluss, Verteidiger intervenieren, die Anklage gibt eine Stellungnahme ab, das Gericht zieht sich zu Beratungen zurück, entscheidet. Jedes Mal unterbrochen von kleinen oder auch größeren Pausen. Am Mittwoch dauert die längste rund zwei Stunden.

Der Zwist am Mittwoch aber hat es durchaus in sich - und wird von allen Seiten engagiert und teils gereizt geführt, Götzl inklusive. Erst wehrt sich der Anwalt des Mitangeklagten Ralf Wohlleben, Olaf Klemke, gegen Götzls Nein zu einem Tonbandmitschnitt, beantragt hilfsweise die Beauftragung eines Stenografen. Andere Verteidiger schließen sich an. Es sei für ihre Mandanten auch unmöglich, 22 Stunden Plädoyer mit der notwendigen Konzentration zu folgen.

Diemer kontert scharf: "Es ist hier kein Stuhlkreis." In der Strafprozessordnung seien Tonaufnahmen einfach nicht vorgesehen. Und es sei auch nicht Aufgabe der Ankläger, "ihr Plädoyer an jeglichen Verständnishorizont anzupassen". Dazu gebe es Pflichtverteidiger.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird wieder einmal klar: Dieser Gerichtssaal ist nicht der Platz für irgendwelche Kompromisse. Stattdessen beendet Götzl den Prozesstag, sagt auch noch gleich die für Donnerstag geplante Verhandlung ab. Fortsetzung also am Dienstag.

Und dann? Erst einmal muss das Gericht entscheiden, wie es mit den Einwänden der Verteidiger umgeht. Weist es diese zurück, könnte ein neuer Befangenheitsantrag - vielleicht wirklich der letzte? - drohen.

Fakt ist: Vor der vierwöchigen Sommerpause im Prozess gibt es nur noch vier Verhandlungstage. Ob die Plädoyers bis dahin beginnen können oder womöglich erst nach der Sommerpause, ist völlig offen.

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