Migration Faktencheck: Der Streit um Visumfreiheit und Rücknahmepakt

Istanbul · Der Streit zwischen der Türkei und der EU eskaliert. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht damit, das Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen zum 1. Juni platzen zu lassen, wenn die Visumfreiheit nicht kommt. Ein Blick auf die Fakten:

 Der türkische Präsident Erdogan verwirrt mit seiner Drohung, das Rücknahme-Gesetz nicht in Kraft treten zu lassen - denn es ist bereits in Kraft.

Der türkische Präsident Erdogan verwirrt mit seiner Drohung, das Rücknahme-Gesetz nicht in Kraft treten zu lassen - denn es ist bereits in Kraft.

Foto: Presidential Press Office

Erdogan sagt, die EU habe Bedingungen für die Visumfreiheit erst nachträglich benannt, als das Aufheben der Visumpflicht bereits beschlossen gewesen sei. Stimmt das?

Nein. Die 72 Punkte sind Teil eines Abkommens zur Rücknahme von Flüchtlingen und zur Visaliberalisierung, das Erdogans Regierung am 16. Dezember 2013 in Ankara mit der EU abschloss.

Die Türkei spricht häufig von rund drei Millionen Flüchtlingen im Land. Ist die Zahl korrekt?

Nein, sie ist zu hoch. Das sind jene Flüchtlinge, die registriert wurden, als sie in die Türkei kamen. Nicht berücksichtigt sind dabei Hunderttausende, die vor allem in die EU weitergeflohen sind.

Kanzlerin Angela Merkel lobt die Türkei dafür, dass sie Syrern erlaubt zu arbeiten. Stimmt das?

Nur zum Teil. Syrer dürfen seit Januar eine Arbeitserlaubnis beantragen, was aber mit hohen bürokratischen Hürden verbunden ist. Seitdem wurden in der Türkei nach offiziellen Angaben nur etwas mehr als 10 000 Arbeitsgenehmigungen für syrische Flüchtlinge erteilt.

Die EU forderte, aus Griechenland abgeschobenen Syrern müsse in der Türkei wieder Schutz gewährt werden. Ist das geschehen?

Nur eingeschränkt. Nach einem Gesetz vom April kann Syrern, die im Rahmen des Flüchtlingspakts von griechischen Ägäis-Inseln aus zurück in die Türkei abgeschoben werden, "vorübergehender Schutz gewährleistet werden, sollten sie diesen einfordern".

Die EU hat drei Milliarden Euro für Flüchtlinge in der Türkei versprochen. Ist schon Geld geflossen?

Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin sagte am vergangenen Freitag: "Wir haben noch kein Geld erhalten." Die EU-Kommission teilte am Mittwoch dagegen mit: "Erste Zahlungen wurden am 18. März getätigt." Möglicherweise meint Kalin, dass die Regierung noch kein Geld bekommen hat. Das wurde aber auch nicht vereinbart, die Mittel laufen über internationale Organisationen.

Kann die Türkei das Rücknahmeabkommen platzen lassen?

In der Praxis: ja. Aus Sicht der EU würde sie aber vertragsbrüchig. Das Gesetz zur vorgezogenen Rücknahme der Flüchtlinge zum 1. Juni ist mit der Veröffentlichung am vergangenen Freitag im türkischen Amtsblatt in Kraft getreten. Erdogan argumentiert, dass die EU vertragsbrüchig würde, würde sie die Visumpflicht nicht aufheben.

Die Türkei verfolgt nach Regierungsangaben eine "Politik der offenen Tür". Heißt das, die Grenzen für Flüchtlinge sind offen?

Nein. Aus Regierungskreisen heißt es: "Die Politik der offenen Tür ist nicht dasselbe wie offene Grenzen." Sie bedeute stattdessen, dass die Türkei Zivilisten bei unmittelbarer Lebensbedrohung aufnehme.

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