Feature Etappensieg im Klimaschutz - aber der Weg ist noch weit

Kattowitz · Handelskriege, Populisten, Ego-Politik: Die internationale Zusammenarbeit hat keine Konjunktur. Beim Klimagipfel schafft es die Weltgemeinschaft trotzdem, sich zusammenzuraufen. Ist der Aufbruch für mehr Klimaschutz damit geschafft?

 Bundesumweltministerin Svenja Schulze hält während des UN-Klimagipfels in Kattowitz eine Rede.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze hält während des UN-Klimagipfels in Kattowitz eine Rede.

Foto: Monika Skolimowska

Als der entscheidende Hammerschlag ertönt, ist die Erleichterung der Klimaschutz-Diplomaten spürbar. Sie klatschen sich selbst Applaus, manche nehmen sich lange in den Arm.

In zahllosen Debatten, lautem Streit, vertraulichen Runden und Plenarsitzungen haben sie nach zwei Wochen das Klimaschutzabkommen von Paris mit Leben gefüllt. Denn was ist ein Ziel wert ohne einen Weg dorthin? Aus dem polnischen Kattowitz (Katowice) reisen die Delegierten nach Hause in 196 Länder, im Gepäck ein 133-seitiges Regelwerk für den Klimaschutz.

Und der ist nicht weniger als eine "Frage von Leben und Tod", wie UN-Generalsekretär António Guterres mahnt. Die Welt ist seit dem 19. Jahrhundert nicht einfach ein Grad wärmer geworden. Extreme Wetterlagen werden häufiger - Dürren wie in Afrika, unerträgliche Hitzewellen mit Hunderten Toten wie in Pakistan, Waldbrände wie jüngst in Kalifornien. Aber auch Starkregen führt auch in Europa zu verheerenden Überschwemmungen - manche sprechen von "Regenbomben". Hinzu kommen stärkere Stürme und Orkane. Deutschland kann Bauern nach dem Dürresommer finanziell beispringen. Anderswo drohen Hungersnöte.

Die Verhandlungen standen trotz der Dringlichkeit unter schwierigen Vorzeichen. US-Präsident Donald Trump hat den Ausstieg der USA aus dem Pariser Abkommen eingeleitet, aber die Amerikaner sitzen noch mit am Tisch - sehr aktiv, wie Teilnehmer berichteten. China hat sich nicht zur Klimaschutz-Lichtgestalt entwickelt, zu der viele das Land nach Trumps Wahl hochloben wollten. Brasilien bekommt einen Präsidenten, dem zugetraut wird, ebenfalls das Abkommen zu verlassen - jedenfalls könnte Jair Bolsonaro den fürs Klima so wichtigen Regenwald noch schneller abholzen lassen als bisher. Überhaupt: Populisten und Nationalisten sind auf dem Vormarsch.

Mit dieser Ausgangslage ein weltweit gültiges Regelwerk von solcher Tragweite zu beschließen und es nicht bei Klimaschutz-Sonntagsreden zu belassen, ist kein Selbstläufer. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD), Kopf der deutschen Delegation, spricht von einem "Erfolg für den Multilateralismus", der Zusammenarbeit der Staaten.

Die neuen Regeln bestimmen, wie die Länder über Erfolge, Misserfolge und Pläne beim Einsparen von Treibhausgasen berichten müssen. Was als Klimaschutz zählt und was nicht. Für ein Abkommen, das auf Vertrauen basiert, sind Transparenz und Vergleichbarkeit entscheidend.

Eigentlich sollte der Hammer von Konferenzpräsident Michal Kurtyka die Konferenz schon am Freitagabend beenden. Hätte klappen können, sagen viele, aber dann macht Brasilien Probleme. Als die gelöst sind - oder vielmehr vertagt aufs nächste Jahr - und das Abschlussplenum beginnen soll, tut sich wieder nichts. Umweltministerin Svenja Schulze verlässt den Saal sichtlich genervt, um mit Kollegen aus Frankreich, der EU und den Vereinten Nationen die Delegation aus der Türkei davon abzuhalten, die Abstimmung weiter zu verzögern. Mühsam, aber auch normal in der Klimadiplomatie. Samstagabend um zehn ist es soweit.

Begleitet wird die Mammut-Veranstaltung, zu der mehr als 32 000 Menschen angereist sind, von düsteren Warnungen und dramatischen Appellen. Der äthiopische Verhandlungsführer Gebru Jember Endalew, der auf dem Gipfel für rund eine Milliarde Menschen in den ärmsten Staaten spricht, berichtet vom Elend in seiner Heimat. In vielen Landstrichen falle in Folge der Erderwärmung monatelang kein Regen. Äthiopien stehe an der "Frontline" des Klimawandels. Dass die Treibhausgasemissionen weltweit weiter steigen, sei ein Skandal. "Wir bezahlen das mit Menschenleben."

Auch der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, ein Professor für Theoretische Physik, wird pathetisch. "Wir rasen wirklich auf eine Wand zu", sagt er. "Und der Crash könnte letztlich das Ende unserer Zivilisation herbeiführen." Und der Stargast des Gipfels, der frühere US-Vizepräsident Al Gore, lässt in seinem Vortrag auf der riesigen Videoleinwand sogar lautstark eine Atombombe explodieren, um die Unterhändler aufzurütteln. Mit Erfolg?

Was viele Klimaschützer und arme Staaten sich gewünscht hätten von dieser Konferenz, das ist ein klares und glaubwürdiges Signal, dass der Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) und anderen Treibhausgasen jetzt schneller sinkt. So ein Signal gehe von Kattowitz aber nicht aus, beklagen Umweltverbände. "Die Regierungen der Welt brauchen viel mehr Druck von ihren Bürgerinnen und Bürgern, endlich mit dem Klimaschutz Ernst zu machen", sagt Michael Schäfer vom WWF.

Damit meint er auch Deutschland, wo Anfang Februar ein Konzept für den Kohleausstieg auf dem Tisch liegen soll. Dass Umweltministerin Schulze und EU-Umweltkommissar Miguel Arias Cañete sich in Polen mit anderen Politikern hinter ein Banner mit der Aufschrift "Zusammen für Ehrgeiz" stellten, dürfte ihre Kollegen zu Hause wenig beeindrucken.

Übrigens: Der Gipfel allein produzierte nach Schätzungen der Stadt Kattowitz rund 55 000 Tonnen CO2. Er fand mitten im polnischen Steinkohlegebiet statt. Tausende reisten mit Flieger und Co. an, das Kattowitzer Messegelände verwandelte sich in eine kleine Stadt. Diese wurde fast zwei Wochen lang beleuchtet, bei Außentemperaturen um Null Grad beheizt, von Helikoptern und Polizeifahrzeugen gesichert, die oft den Motor laufen ließen, wie Teilnehmer kritisierten. Kritik gab es auch an Plastikdeckeln für Kaffee und Essen und ein schmales Angebot an vegetarischen Gerichten. Millionen neu gepflanzte Bäume sollen das nun kompensieren.

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