Druck auf Riad steigt Erdogan nennt Khashoggis Tötung "barbarischen Mord"

Istanbul · Jamal Khashoggi sei einem Mordkomplott zum Opfer gefallen, sagt Erdogan - und widerspricht damit der Version der saudischen Führung. Die versucht, ihr angekratztes Image aufzubessern. Aber international wächst der Druck weiter.

 Sicherheitskräfte stehen vor dem saudi-arabischen Konsulat in Istanbul.

Sicherheitskräfte stehen vor dem saudi-arabischen Konsulat in Istanbul.

Foto: Lefteris Pitarakis/AP

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat die Tötung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi als "barbarischen geplanten Mord" angeprangert und erhöht damit den Druck auf das autoritäre Regime in Riad.

"Die bisher aufgetauchten Informationen und Beweise zeigen, dass Jamal Khashoggi einem brutalen Mord zum Opfer gefallen ist", sagte Erdogan bei einer mit Spannung erwarteten Rede vor Abgeordneten seiner Regierungspartei AKP am Dienstag in Ankara.

Obwohl Erdogan angekündigt hatte, "ins Detail" gehen zu wollen, legte er die angesprochenen Beweise dann doch nicht vor und lieferte auch sonst keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse. Er forderte stattdessen Aufklärung von Saudi-Arabien zu der Frage, wo die Leiche sei. Zudem erwarte er, dass alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, sagte Erdogan.

Das saudische Königshaus hat erklärt, dass Khashoggi am 2. Oktober im Konsulat in Istanbul bei einem Faustkampf ums Leben gekommen ist. Mit seiner Rede widersprach Erdogan dieser Darstellung, die auch international angezweifelt wurde.

Gleichzeitig wuchs auch international der Druck auf Saudi-Arabien. Die Außenminister sieben führender westlicher Länder forderten Saudi-Arabien auf, bei der Aufklärung des Todesfalls uneingeschränkt mit den türkischen Behörden zu kooperieren. Die bisherigen Erklärungen ließen noch viele Fragen unbeantwortet, hieß es in einem Schreiben der G7-Minister. "Die für die Tötung Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

Kurz zuvor hatte US-Vizepräsident Mike Pence versichert, dass die Tötung Khashoggis nicht folgenlos bleiben wird. "Dieser brutale Mord an einem Journalisten, an einem unschuldigen Mann, an einem Regimekritiker, wird nicht ohne Reaktion der USA bleiben und, so denke ich, auch nicht ohne eine internationale Reaktion", sagte Pence bei einer Tagung der "Washington Post", für die Khashoggi zuletzt geschrieben hatte.

Vor einer internationalen Investorenkonferenz in Riad am Dienstag hatten zudem viele hochrangige Gäste ihre Teilnahme wegen der Khashoggi-Affäre abgesagt. Dazu zählten US-Finanzminister Steven Mnuchin, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, und Siemens-Chef Joe Kaeser.

Erst am Wochenende - rund drei Wochen nach Khashoggis Verschwinden - hatte Saudi-Arabien zugegeben, dass der Journalist im Istanbuler Konsulat getötet wurde - angeblich bei einer Schlägerei. 18 saudische Staatsangehörige wurden festgenommen.

Erdogan machte auch deutlich, dass für ihn die Angelegenheit mit der Festnahme der Saudis noch nicht erledigt sei: "So einen Fall einigen Sicherheits- und Geheimdienstmitgliedern anzulasten, würde weder uns noch die internationale Gemeinschaft zufriedenstellen", sagte er. Die 18 festgenommenen Saudis müssten in Istanbul vor Gericht gestellt werden, forderte er. Er zweifele aber nicht an der Aufrichtigkeit von König Salman. Den Kronprinzen, der verdächtigt wird, den Mord in Auftrag gegeben zu haben, erwähnte Erdogan nicht.

Lange hatten türkische Behörden oder Politiker sich offiziell kaum zu dem Fall geäußert. Stattdessen versorgten sie regierungsnahe und internationale Medien häppchenweise und anonym mit neuen Informationen. Sie beriefen sich dabei oft auf Ton- und Videoaufnahmen, die beweisen sollen, dass Khashoggi im Konsulat gefoltert, ermordet und zerstückelt wurde. Erdogan erwähnte die Aufnahmen am Dienstag nicht und ließ damit auch offen, ob sie überhaupt existieren.

Mit der Taktik, Informationen häppchenweise preiszugeben, hat Erdogan den Druck auf Riad ständig erhöht und das Königreich international diskreditiert. Die beiden Länder sind Rivalen in der Region. Die Türkei unterstützt zum Beispiel das mit Riad verfeindete Emirat Katar. Außerdem steht die türkische Führung den Muslimbrüdern nahe, die Saudi-Arabien wiederum bekämpft. Viele Muslimbrüder leben als Exilanten in der Türkei. Erdogan könnte die Informationen über Khashoggis Tod auch nutzen wollen, um der saudischen Führung Zugeständnisse wie etwa wirtschaftliche Hilfe abzuverlangen.

Das, was Erdogan preisgab, war eine minuziöse Darstellung der Tat aus türkischer Sicht, ab der Minute, in der Khashoggi das Konsulat am 2. Oktober betrat. Demnach sollen bereits am Tag vor dem Verschwinden des Mannes mehrere Männer aus Saudi-Arabien angereist sein. Erdogan sprach von "drei Teams". Eines habe vor dem Mord im Belgrader Wald und in Yalova außerhalb Istanbuls "Nachforschungen angestellt" - zu welchem Zweck ließ er offen. Am Tag des Mordes seien die Täter dann zwischen 9.50 Uhr und 11.00 Uhr Ortszeit unabhängig voneinander ins Konsulat gekommen.

Es seien aber noch viele Fragen offen. "Wieso haben sich diese 15 Personen, die alle mit dem Fall im Zusammenhang stehen, am Tag des Mordes in Istanbul versammelt?", fragte Erdogan. "Wieso wurden zahlreiche widersprüchliche Erklärungen abgegeben, obwohl der Mord Tatsache ist?" Und: Warum sei die Leiche noch nicht gefunden worden?

Erdogan telefonierte am Nachmittag mit Verwandten Khashoggis, während König Salman und Kronprinz Mohammed Khashoggis Bruder Sahl und Khashoggis Sohn Salah bei einem Treffen im Palast kondolierten, wie die staatliche saudische Nachrichtenagentur Spa meldete.

Die saudische Führung versucht den Druck derweil durch Versprechen zu mindern. Außenminister Adel al-Dschubair erklärte bei einem Besuch in Jakarta, das Königshaus habe sich zu einer umfassenden Ermittlung verpflichtet. Die Verantwortlichen würden zur Rechenschaft gezogen, das alles mit dem Ziel, "dass so etwas nie wieder passiert". Schon am Wochenende hatte Al-Dschubair versucht, den Verdacht vom Königshaus zu nehmen.

Medienberichte offenbarten Spuren, die ins direkte Umfeld von Kronprinz Mohammed bin Salman führen. Das Königshaus setzte mit Saud al-Kahtani einen engen Vertrauten des 33 Jahren alten Thronfolgers ab. Al-Dschubair aber versicherte dem US-Sender Fox News, keiner der Verdächtigen haben Verbindungen zum Kronprinzen.

Einen seltenen Einblick in die Gemütslage der Führung gab Ölminister Chalid al-Falih bei der internationalen Investorenkonferenz in Riad. Das Königreich befinde sich in einer Krise, räumte er auf dem Podium ein: "Das sind schwierige Tage für uns." Bei der Tat handele es sich um einen "bedauerlichen und abscheulichen Vorfall", den niemand in Saudi-Arabien rechtfertigen oder erklären könne.

Saudi-Arabien verkündete zugleich, bei der Konferenz - eines der größten Wirtschaftstreffen weltweit - würden Verträge im Wert von 50 Milliarden US-Dollar unterzeichnet. Die Projekte sollen helfen, den ehrgeizigen Umbau der saudischen Wirtschaft voranzutreiben, die unabhängiger vom Öl werden will. Verantwortlich dafür: Kronprinz Mohammed bin Salman.

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