EU EU fordert von London Beginn der Austrittsverhandlungen

Brüssel · Wie geht es weiter nach dem britischen Nein zur EU? Noch-Premier Cameron hofft auch weiter auf gute Beziehungen. Doch die Europäer dringen erstmal auf einen klaren Zeitplan für die Scheidung.

 Jean-Claude Juncker (r) begrüßt David Cameron in Brüssel.

Jean-Claude Juncker (r) begrüßt David Cameron in Brüssel.

Foto: Olivier Hoslet

Wenige Tage nach dem Brexit-Schock zeigt die EU gegenüber ihrem Noch-Mitglied Großbritannien klare Kante: Kanzlerin Angela Merkel und andere Spitzenpolitiker warnten London vor Rosinenpickerei.

Mehrere Staats- und Regierungschefs verlangten eine zügige Eröffnung der Austrittsverhandlungen. Ein "doppeltes Spiel" werde nicht akzeptiert, warnte Belgiens Premierminister Charles Michel am Rande des EU-Gipfels in Brüssel.

Die Gipfelteilnehmer wollten sich am Abend von Großbritanniens Premier David Cameron die Vorstellungen seines Landes erläutern lassen. Bei dem Referendum hatten am Donnerstag 52 Prozent der britischen Wähler für einen EU-Austritt gestimmt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) machte unmittelbar zuvor in einer Sondersitzung des Bundestags deutlich, dass sie Großbritannien keine Sonderrolle zugestehen will. "Wir werden sicherstellen, dass die Verhandlungen nicht nach dem Prinzip der Rosinenpickerei geführt werden", sagte sie in ihrer Regierungserklärung. Ähnlich äußerte sich auch SPD-Chef Sigmar Gabriel bei einem Treffen seiner europäischen Parteienfamilie in Brüssel. Merkel sagte weiter: "Es muss und es wird einen spürbaren Unterschied machen, ob ein Land Mitglied der Familie der Europäischen Union sein möchte oder nicht." Zudem würden erst nach einer britischen Austrittserklärung Scheidungsverhandlungen aufgenommen - anders als sich das viele in London vorstellen.

EU-Ratspräsident Donald Tusk plant bereits ein weiteres informelles Gipfeltreffen ohne Großbritannien. Dazu will er für September einladen, wie er ankündigte. Bereits an diesem Mittwoch tagen die Staats- und Regierungschefs in diesem neuen 27er-Format.

Nach Einschätzung von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz könnte London im September offiziell seinen Austrittswunsch in Brüssel anmelden. Denn bis Anfang des Monats soll in Großbritannien feststehen, wer Cameron als Chef der britischen Tories - und damit als Regierungschef - folgt. Cameron selbst hat deutlich gemacht, dass er in seiner Amtszeit nicht mehr den Austritt in Brüssel anmelden wird. Ab diesem Zeitpunkt liefe die Uhr für die bis zu zweijährigen Scheidungsverhandlungen. London spielt dabei offenbar auf Zeit.

Von seinen europäischen Partnern musste sich Cameron schwere Vorwürfe gefallen lassen. "England ist zusammengebrochen", mit seiner Politik ebenso wie der Währung, der Verfassung und der Wirtschaft, sagte der niederländische Regierungschef Mark Rutte. Luxemburgs Premier Xavier Bettel warf Cameron vor, sein Land "aus nationalem politischem Kalkül" in die aktuelle schwierige Lage gebracht zu haben.

Cameron selbst erklärte, er setze auch weiterhin auf eine enge Bindung seines Landes an die Europäische Union. "Ich hoffe sehr, dass wir bei Handel, Zusammenarbeit und Sicherheit eine Beziehung anstreben werden, die so eng wie möglich ist."

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker drängte bei einer Sondersitzung des Europaparlaments in Brüssel: "Ich möchte, dass Großbritannien seine Position klärt. Wir können uns nicht auf einen langen Zeitraum der Ungewissheit einlassen." Auch die EU-Abgeordneten verlangten in einer Resolution eine rasche Austrittserklärung Großbritanniens.

Die ungewisse Lage macht die Europäer nervös. "Die Unsicherheit, die wir derzeit haben, ist für niemanden gut", merkte der schwedische Ministerpräsidenten Stefan Löfven an. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz nannte sie gar das "größte Problem". "Wir können nicht zu lange warten", mahnte er. Er verwies darauf, dass Großbritannien die Bestnote AAA bei einigen Ratingagenturen verloren hat. Diese bewerten die Kreditwürdigkeit von Schuldnern, auch von Staaten. Zugleich müsse die EU den Briten aber im Zweifelsfall einen Rückzieher von der Brexit-Entscheidung ermöglichen.

US-Präsident Barack Obama, der sich für einen Verbleib Großbritanniens in der EU eingesetzt hatte, warnte die Europäer nun vor Hysterie. "Am besten sieht man das so, dass für das Projekt einer vollen europäischen Integration eine Pause-Taste gedrückt wurde", sagte er dem Sender NPR und warnte vor Übertreibung. "Es gibt da so eine kleine Post-Brexit-Hysterie, als ob sich die Nato oder die transatlantische Allianz auflösen und jedes Land sich in seine Ecke zurückziehen würde. So ist das aber nicht."

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