Hintergrund Diese alten CDU-Zöpfe hat Merkel abgeschnitten

Hamburg · Wehrpflicht, Frauenquote, Mindestlohn, Homo-Ehe: Angela Merkel hat so manche konservative Position geräumt - und ihre CDU in die Mitte der Gesellschaft gezogen.

 Selfie mit Flüchtling: Dieses Foto von Bundeskanzlerin Merkel ging um die Welt.

Selfie mit Flüchtling: Dieses Foto von Bundeskanzlerin Merkel ging um die Welt.

Foto: Bernd von Jutrczenka

Sie wisse sehr wohl, dass sie die Nerven ihrer Parteifreunde bisweilen sehr auf die Probe gestellt habe, hat Angela Merkel am Freitag in ihrer Abschiedsrede auf dem Hamburger CDU-Parteitag gesagt.

Gemeint hat die scheidende CDU-Vorsitzende damit, dass sie nicht jede Attacke des politischen Gegners unbedingt wortgewaltig konterte. Doch auch inhaltlich hat Merkel die CDU in ihren 18 Jahren an der Parteispitze oft herausgefordert - und so manche konservative Position aufgegeben.

Atomausstieg: Gegen erbitterte rot-grüne Proteste setzt Merkel im Bündnis mit der FDP 2010 eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken durch. Doch 2011 - nach der Katastrophe von Fukushima - verkündet sie abrupt die Kehrtwende zum Atomausstieg.

Bundeswehr: Mit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 greift die Union eine Forderung auf, die SPD und Grüne schon lange erhoben, in ihrer Regierungszeit aber nicht mehr durchgesetzt hatten. Zuletzt lehnte Merkel im Zusammenhang mit der Diskussion über eine allgemeine Dienstpflicht eine Wiedereinführung der Wehrpflicht klar ab.

Frauenquote: Das Gesellschaftsbild der CDU hat Merkel auf breiter Front modernisiert, etwa bei der Rolle von Frauen. 2016 tritt die im Koalitionsvertrag mit der SPD verabredete, gesetzlich festgelegte Frauenquote von 30 Prozent für die Aufsichtsräte der größten Börsen-Unternehmen in Deutschland in Kraft. Im CDU-Wirtschaftsrat gibt es bis zur Abstimmung im Bundestag Unmut über die Regelung.

Homosexuellen-Ehe: Im Sommer 2017 rückt Merkel vom klaren Nein der CDU zur Öffnung der Ehe ab. Sie überlässt den Unions-Abgeordneten in der Sache eine freie "Gewissensentscheidung". Der Bundestag beschließt daraufhin, dass Schwule und Lesben heiraten und gemeinsam Kinder adoptieren dürfen. Merkel selbst votiert allerdings dagegen.

Flüchtlinge: Als immer mehr Flüchtlinge 2015 in Deutschland registriert werden, setzt sich die Kanzlerin für deren Integration ein. Verteidigen muss sie ihren Kurs gegen Konservative in der Union, die Deutschland stärker abschirmen wollen. Mittlerweile aber sind Regeln für Flüchtlinge unter Schwarz-Rot verschärft worden.

Mindestlohn: In der vergangenen Legislaturperiode wird ein linkes Herzensprojekt der SPD wahr: der gesetzliche Mindestlohn. Der Wirtschaftsflügel der Union muss die Koalitionsvereinbarung schlucken.

Bildung: Nach langem Ringen löst sich die CDU 2011 von der Tradition des dreigliedrigen Schulsystems und erklärt sich zur Abkehr von der eigenständigen Hauptschule bereit. Neben dem Gymnasium sollen unter dem Dach einer "Oberschule" Haupt- und Realschulen vereint werden. Als Grund werden sinkende Schülerzahlen genannt.

Doppelpass: Merkel hält 2016 trotz des gegenteiligen Votums eines CDU-Parteitags an der doppelten Staatsbürgerschaft fest. Diese war 2014 mit der SPD vereinbart worden. Demnach können in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern neben der deutschen auch die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern behalten. In der CDU gibt es viele Stimmen, die den Doppelpass abschaffen wollen.

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