Welt-Aids-Tag "Der Ausbruch von Aids ist zu verhindern"

BONN · Rund 80 000 Menschen bundesweit leben zurzeit mit einer HIV-Infektion. Ihre Ausweitung zum Vollbild Aids ist heute gut aufzuhalten, heilbar ist die Immunschwächekrankheit nicht. 550 Menschen starben im vergangenen Jahr an Aids. Über den Schutz vor und Behandlungsmöglichkeiten der Krankheit sprach der Bonner Forscher Jürgen Rockstroh zum Welt-Aids-Tag am Montag mit Norbert Wallet.

 Geißel der Menschheit: Eine große rote Schleife erinnert in Manila auf den Philippinen an den Welt-Aids-Tag.

Geißel der Menschheit: Eine große rote Schleife erinnert in Manila auf den Philippinen an den Welt-Aids-Tag.

Foto: dpa

Herr Rockstroh, die Entdeckung des HI-Virus ist mehr als 30 Jahre her. Warum ist kein Heilmittel dagegen gefunden worden?
Jürgen Rockstroh: Man könnte es auch positiver formulieren. Trotz Ansteckung mit HIV ist der Ausbruch von Aids zu verhindern. Das Virus lässt sich in Schach halten, nur eine Heilung lässt sich momentan nicht erreichen. Andererseits hätte vor einigen Jahren auch niemand geglaubt, dass Hepatitis C bei fast jedem heilbar ist. Und das ist jetzt möglich.

Was macht die Suche nach einem Heilmittel so schwierig?
Rockstroh: Die ständige Veränderungsbereitschaft des HI-Virus und das Vorhandensein in verschiedene Zellkompartimenten machen es sehr kompliziert. Bis jetzt sind bei jeder Behandlung mit unterschiedlichen Wirkstoffen Viren-Reservoirs im Organismus verblieben. Die Frage ist, wie man diese erreicht. Die Forschung nach einem Heilmittel sollte darauf abzielen, es herauszulocken, um es aus dem Körper zu bekommen.

Wird Aids aus Ihrer Sicht ausreichend wahrgenommen?
Rockstroh: Da eine HIV-Infizierung mittlerweile gut behandelbar ist, hat die Krankheit ihre abschreckende Wirkung eingebüßt. In einer Umfrage unter jungen Menschen gaben 50 Prozent an, dass dies sie in Sachen Safer Sex beeinflusse. Als noch niemand genau wusste, um was es bei HIV geht, war eine größere sexuelle Zurückhaltung da, die Krankheit war gegenwärtiger.

Eine Entwicklung, die Sie nicht begrüßen.
Rockstroh: Natürlich ist es besser, wenn eine Infizierung erst gar nicht passiert. Denn einmal angesteckt, bleibt nur eine lebenslange Therapie. Hinzu kommt, dass die Patienten ein höheres Risiko für Infarkte, Schlaganfälle und andere Infektionskrankheiten haben.

Spiegelt sich die von Ihnen befürchtete neue Laxheit im Umgang mit Aids auch in der Zahl der Neuinfektionen wider?
Rockstroh: Die Neuinfektionen liegen in den letzten fünf Jahren stabil etwas höher als in früheren Jahren. Das deutet dann schon darauf hin, dass mit der besseren Behandelbarkeit ein Stück Abschreckung verloren gegangen ist. Es ist uns jedenfalls zuletzt nicht geglückt, die Zahl der Neuinfektionen signifikant zu senken.

Wie läuft eine Therapie ab?
Rockstroh: Das Virus soll im Körper keinen Schaden anrichten. Also versuchen wir die Virusvermehrung komplett zu stoppen. Patienten können in der Regel mit einer Tablette als Fixdosiskombination verschiedener Wirkstoffe pro Tag hinreichend behandelt werden. In unserer Ambulanz behandeln wir jährlich rund 1000 Patienten. Durch die guten Behandlungsmöglichkeiten werden sie immer älter. Wir haben 18-Jährige, aber auch zunehmend ältere Menschen in Behandlung. Unser ältester Patient ist 84 Jahre alt.

Ist die Krankheit eigentlich für Männer und Frauen gleich gefährlich oder lassen sich unterschiedliche Krankheitsverläufe erkennen?
Rockstroh: Nein. Frauen stecken sich leichter an als Männer. Der klinische Verlauf der Krankheit selbst ist im Wesentlichen identisch.

Dämpfen die Erfolge in der Behandlung die Bereitschaft, weiterhin öffentliche Forschungsmittel zur Verfügung zu stellen?
Rockstroh: Ja, diesen Effekt gibt es leider durchaus. Die Botschaft, dass Aids behandelbar geworden ist, hat den Förderumfang zusammenschrumpfen lassen. Die Fördergelder sind nun deutlich stärker auf Forschungen konzentriert, die sich mit der Entwicklung von Impfstoffen oder von Heilungsstrategien beschäftigen. Alles andere wird zurückgefahren. Zum Beispiel gibt es leider weniger EU-Mittel für die sogenannte Kohorten-Forschung, also für die Verfolgung der Krankheitsverläufe bei einer großen Gruppe von Patienten über lange Zeiträume. Auch in den USA ist die Förderlandschaft viel kritischer geworden. Das hat viele forschende US-Kollegen bewegt, ihre akademische Karriere aufzugeben und in die Pharma-Industrie zu wechseln.

Wo steht Deutschland in der Forschung?
Rockstroh: Deutschland hat eine besondere Versorgungssituation der Patienten. Über die Hälfte der Patienten bei uns werden von niedergelassenen Ärzten betreut. Die haben natürlich einen etwas anderen Fokus als Kliniker. Deshalb würde ich sagen, dass Deutschland in der klinischen Forschung einen guten Mittelfeldplatz einnimmt. Dagegen sind wir in der Grundlagenforschung sehr stark.

Die große Hoffnung auf ein Heilmittel hat sich noch nicht erfüllt. Würden Sie sagen, das die Forschung sich da festgefahren hat?
Rockstroh: Nein, das nicht. Die Sache ist aber extrem schwierig, weil sich der Virus so stark verändern kann. Wenn eine Heilung gelingen soll, müssen eben alle Zellen im Kampf gegen den Virus aktiviert werden. Es gibt da auch erste Erfolge. Es wächst auch das Verständnis, wie es dem Virus gelingt, sich festzusetzen. Aber das sind kleine, wenn auch wichtige Schritte, die sich nicht für die große Schlagzeile eignen. Deshalb entsteht der mediale Eindruck, dass wir - was das Ziel einer Heilung angeht - eine Durststrecke durchmachen.

Wann, schätzen Sie, könnte es eine Heilung geben?
Rockstroh: In der Zukunft wird es noch besser verträgliche Therapien geben, aber auch die Möglichkeit einer Spritze alle zwei Monate. Die Heilung wird aber noch länger als zehn Jahre benötigen.

Zur Person

Jürgen Rockstroh ist Professor für Innere Medizin und Leiter der HIV-Ambulanz an der Medizinischen Klinik und Poliklinik I der Universität Bonn. 1998 habilitierte er sich mit dem Thema "Besonderheiten im Verlauf der HIV-Infektion bei Hämophilen". Seit 2009 ist der Forscher Mitglied des Vorstands der Europäischen Aids-Gesellschaft.

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