Analyse Das Brexit-Abkommen: Was steckt drin?

Brüssel/London · Das Brexit-Abkommen zwischen der EU und Großbritannien wird fast alle Europäer irgendwie berühren - wenn es denn zustande kommt.

 EU-Unterhändler Michel Barnier (l.) und Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates, blättern durch den Entwurf des Austrittsvertrags.

EU-Unterhändler Michel Barnier (l.) und Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates, blättern durch den Entwurf des Austrittsvertrags.

Foto: Francisco Seco/AP

Tausende Stunden Arbeit stecken in diesen 585 Seiten, viele durchwachte Nächte und etliche politische Kapriolen.

"Ich glaube fest, dass der Entwurf für das Austrittsabkommen der beste ist, der verhandelt werden konnte", sagt die britische Premierministerin Theresa May über den Brexit-Vertrag, der ihr nun in London großen Ärger bereitet.

Die EU-Unterhändler sehen das genauso. Tatsächlich wird dieser Vertrag, so er denn wirklich unterzeichnet und ratifiziert wird, fast jeden in Europa irgendwie berühren. Hier ein Überblick über die wichtigsten Auswirkungen:

... für Bürger und Unternehmen

Zentral ist die vereinbarte Übergangsphase: Nach dem Austrittsdatum 29. März 2019 soll sich bis mindestens Ende 2020 an den äußeren Bedingen erstmal nichts ändern. Großbritannien bleibt im EU-Binnenmarkt und in der Europäischen Zollunion, alle EU-Regeln gelten weiter, es gibt keine Zollkontrollen oder Einfuhrbeschränkungen. Da Großbritannien nach dem Austritt offiziell Drittstaat ist, darf es in Brüssel aber nicht mehr mitbestimmen. Neue EU-Regeln muss es trotzdem akzeptieren. Die Übergangsphase ist eine Schonfrist für die Wirtschaft, aber auch die Zeit, in der die dauerhafte Beziehungen zwischen EU und Großbritannien geklärt werden sollen. Die Frist kann laut Vertrag einmal verlängert werden. Im Juli 2020 soll das von der EU und Großbritannien gemeinsam geprüft und entschieden werden. Für wie lange die Schonfrist ausgedehnt würde, ist noch offen.

... für EU-Bürger in Großbritannien und Briten in der EU

Der Vertrag sichert zu, dass die mehr als drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien und eine Million Briten auf dem Festland auch nach der Übergangsphase so weiterleben können wie bisher. Das betrifft unter anderem ihr Recht auf Aufenthalt, Erwerbstätigkeit, Familiennachzug, auf Ansprüche an die Sozialkassen und auf Anerkennung beruflicher Qualifikationen. Das Aufenthaltsrecht bleibt wie gehabt: Wer sich selbst finanzieren kann, darf bis zu fünf Jahre bleiben und danach ein dauerhaftes Bleiberecht beanspruchen. Die Rechte erlöschen nicht, wenn man zum Ende der Übergangsphase gerade nicht am Wohnort ist.

... für Menschen in Irland und Nordirland

Nach langem hin und her ist nun im Vertrag garantiert, dass die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland offen bleibt, also keine Schlagbäume oder Kontrollen eingeführt werden. Auch dafür wollen beide Seiten in der Übergangsphase eine dauerhafte Lösung finden. Für den Fall, dass dies nicht gelingt, gibt es eine Garantieklausel, den "Backstop". Dann bliebe ganz Großbritannien in einer Zollunion mit gemeinsamen Standards mit der Europäischen Union, um Grenzkontrollen zu vermeiden. Für Nordirland würden zudem weiter Bedingungen des EU-Binnenmarkts sowie einige Kontrollpflichten für Waren aus dem übrigen Staatsgebiet Großbritanniens gelten. Dies kann nur im gegenseitigen Einvernehmen beendet werden.

... für den europäischen Steuerzahler

Großbritannien sagt im Vertrag zu, für finanzielle Pflichten aus der Zeit seiner EU-Mitgliedschaft einzustehen. Dies betrifft die Entscheidung von 2013 über den gemeinsamen EU-Haushalt bis Ende 2020: London zahlt also bis dahin weiter Beiträge - weshalb dieses Datum auch für das Ende der Übergangsfrist gewählt wurde. Es geht aber auch um langfristige Lasten, etwa den britischen Anteil an Pensionszahlungen für EU-Beamte. Die Summe steht nicht im Vertrag, sondern nur "eine faire Berechnungsmethode". Geschätzt geht es um etwa 45 Milliarden Euro, die noch von London an Brüssel fließen. Käme der Vertrag nicht zustande, müssten EU-Steuerzahler einspringen.

... für Warenhersteller

Waren mit einer Produktzulassung dürfen auch nach Ende der Übergangsphase verkauft werden, ohne dass sie ein besonderes Label brauchen. Das gilt zum Beispiel für Spielsachen, Kleidung und Kosmetik, aber auch für Medikamente und Medizinprodukte. Ausgenommen sind lebende Tiere und Tierprodukte. Markenrechte sollen auf beiden Seiten unangetastet bleiben.

... für bayerisches Bier

Wie Parmaschinken, Champagner oder Fetakäse soll auch Bayerisches Bier nach der Übergangsphase in Großbritannien seinen nach EU-Recht besonderen Status als geschützte Ursprungsbezeichnung behalten. Das betrifft mehr als 3000 Produkte, die als regionale Besonderheit vermarket werden und dafür bestimmte Bedingungen erfüllen müssen. Walisisches Lamm und andere geschützte britische Produkte behalten ihren Schutz in der EU.

... für Gauner und Kriminelle

Wer zum Ende der Übergangsphase per britischem Haftbefehl gesucht und in der EU geschnappt wird, sollte sich nicht zu sicher fühlen. Der Austrittsvertrag sorgt vor, dass solche Verdächtige gegenseitig ausgeliefert werden.

Das Abkommen soll in all diesen Zweifelsfällen und vor allem zum Ende der Übergangsphase Rechtssicherheit schaffen - denn erst dann kommt der Brexit wirklich zum Tragen. Wie es danach weiter geht, soll in einem anderen umfangreichen Handels- und Partnerschaftsvertrag nach dem Austrittsdatum geklärt werden. Auf die Unterhändler kommen also noch sehr viele weitere Stunden in muffigen Konferenzräumen zu.

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