Analyse Brexit-Abstimmung: Theresa Mays selbst gemachtes Dilemma

London · Die britische Premierministerin hat mit ihrem Brexit-Deal im Parlament eine historische Niederlage eingefahren. Doch May hat sich das Dilemma selbst eingebrockt. Statt ein breites Bündnis im Parlament zu schmieden, wollte sie stets mit dem Kopf durch die Wand.

 Eine Mehrheit im britischen Parlament für den Brexit-Deal von Premierministerin May ist nicht in Sicht.

Eine Mehrheit im britischen Parlament für den Brexit-Deal von Premierministerin May ist nicht in Sicht.

Foto: Pa/PA Wire

Die britische Premierministerin Theresa May steht vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik. Mit 432 zu 202 Stimmen schmetterten die Abgeordneten ihren Brexit-Deal am Dienstag im Parlament in London ab.

Berichten zufolge votierten sowohl 118 konservative Abgeordnete als auch ihre Verbündeten von der nordirisch-protestantischen DUP gegen das Brexit-Abkommen der Regierungschefin.

"Es ist klar, dass das Unterhaus diesen Deal nicht unterstützt. Aber das heutige Votum sagt uns nichts darüber, was es unterstützt. Nichts darüber, wie oder ob überhaupt es die Entscheidung umsetzten will, die das britische Volk in dem vom Parlament anberaumten Referendum getroffen hat", sagte May nach der Niederlage. Doch letztlich ist sie es, die es versäumt hat, eine Mehrheit der Parlamentarier auf ihren Kurs einzuschwören.

Nun ist sie krachend gescheitert. In normalen Zeiten müsste May nach einer solchen Niederlage zurücktreten. Doch das sind keine normalen Zeiten. Das Brexit-Votum aus dem Jahr 2016, bei dem eine knappe Mehrheit der Briten für den Austritt aus der EU stimmte, hat alte Gewissheiten über den Haufen geworfen.

Die Zerstrittenheit unter den Abgeordneten spiegelte sich auch auf der Straße wider. Demonstranten, die für und gegen den Brexit sind, versammelten sich am Dienstag lautstark vor dem Parlamentsgebäude. "Stop the Brexit mess!" (Stoppt das Brexit-Durcheinander") schrien die einen, "No Deal? - No Problem!" (Kein Abkommen? - kein Problem!) die anderen. EU-freundliche Fahrer der typischen Londoner Doppeldecker-Busse hupten solidarisch.

May, so scheint es, wird nicht aufgeben. Sollte sie den Misstrauensantrag an diesem Mittwoch überstehen, wonach es aussieht, wird sie wohl versuchen, mit Brüssel nachzuverhandeln und den Deal dann erneut dem Parlament vorlegen. Wieder mit dem Kopf gegen die Wand, wie es britische Medien oft beschreiben.

Dabei wird die Zeit knapp. Immer näher rückt der Austrittstermin 29. März, der in Großbritannien sogar gesetzlich festgeschrieben wurde. Eine Verlängerung der Frist lehnte May immer wieder vehement ab. Sollte es keine Einigung auf ein Abkommen mit Brüssel geben, droht der ungeregelte Austritt mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche.

Wenn man May etwas als Stärke auslegen will, dann ist es ihre Zähigkeit, trotz wiederholter Rückschläge an ihrem Amt festzuhalten. Doch längst halten Beobachter diese Widerstandsfähigkeit für gefährliche Sturheit. Der Journalist Steve Richards glaubt gar, dass May einen Punkt erreicht hat, an dem sie ihr eigenes politisches Überleben mit dem Interesse des Landes gleichsetzt. "Das ist immer gefährlich, weil es fast immer falsch ist", so Richards.

Zur Überraschung vieler in Europa interpretierte die EU-Befürworterin May das knappe Votum der Wähler im Jahr 2016 so wie die verbohrtesten Brexit-Enthusiasten im Parlament. Mit ihren roten Linien manövrierte sie sich bald in eine Ecke, aus der sie keinen Ausweg mehr fand. "Brexit bedeutet Brexit" wurde gleichbedeutend mit Austritt aus der Zollunion, Austritt aus dem Binnenmarkt und keine Rolle mehr für den Europäischen Gerichtshof.

Dass es für diese Interpretation des Wählerwillens keine Mehrheit im Parlament gab, war schon von Anfang an klar. Doch anstatt auf Teile der Opposition zuzugehen, versuchte May, das Problem mit einer Neuwahl zu lösen und verschlimmerte ihre Situation damit erheblich. Sie verlor ihre Mehrheit im Parlament und war fortan auf die Unterstützung der DUP angewiesen. Die schwierige Frage, wie die Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland trotz Brexits in jedem Fall offen bleiben kann, war damit kaum zu lösen. Die DUP schloss jeglichen Sonderstatus für Nordirland aus.

Das Parlament musste der Regierung wieder und wieder ein Mitspracherecht am Brexit-Kurs abtrotzen. May und die Brexit-Hardliner in ihrer Partei schwangen sich zur einzig legitimen Auslegungsinstanz des Volkswillens auf. Wer sich dem in den Weg stellte, wurde von der Boulevardpresse zu "Volksfeinden" erklärt, wie die drei Richter des britischen High Courts, die Ende 2016 entschieden, dass das Parlament nicht übergangen werden kann beim Auslösen des EU-Austritts nach Artikel 50 der EU-Verträge.

Keine Schuld hat May hingegen an der Spaltung der Briten in EU-Befürworter und Brexit-Anhänger, die noch immer mitten durch die Gesellschaft geht. Umfragen zeigen, dass sich seit 2016 so gut wie nichts geändert hat. Aber May hat auch nichts dafür getan, diese Spaltung zu überwinden. Ihre Aufrufe zu Einigkeit und Versöhnung waren stets hohl, substanzielle Zugeständnisse an diejenigen, die den Brexit für einen historischen Fehler halten, gab es nie.

Immerhin: Nach ihrer Niederlage signalisierte May die Bereitschaft zuzuhören. Sie werde sich mit ihren Parteifreunden, der DUP und Politikern aller Seiten treffen, um zu sehen, was nötig ist, um die die Unterstützung des Parlaments zu sichern, sagte sie.

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