Fragen und Antworten Beide Seiten lassen vor Verhandlungen die Muskeln spielen

Brüssel · Bald soll es losgehen mit den Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens - ein beispielloses Experiment mit ungewissem Ausgang. Zumindest ist nun klar, wie London und Brüssel den Brexit angehen.

 Eine britische Fahne und die Europaflagge.

Eine britische Fahne und die Europaflagge.

Foto: Stefan Rousseau/PA Wire/Illustration

Kein Genörgel, keine Quertreiber, keine Extrawürste: Die Europäische Union ist stolz auf ihre geschlossene Haltung vor den Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien.

Am Wochenende verabschiedeten die 27 bleibenden Länder der Gemeinschaft in Blitzgeschwindigkeit ihren Forderungskatalog für die Gespräche, die nach der britischen Parlamentswahl am 8. Juni beginnen sollen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen waren danach sichtlich zufrieden. Doch die britische Premierministerin Theresa May reagiert äußert kühl und beharrt auf ihren Gegenforderungen.

Was will die EU?

Merkel hat es beim Gipfel noch einmal klar gesagt: "Wir wollen auch in Zukunft gute Beziehungen zu Großbritannien, aber wir wollen auch als 27 unsere Interessen gemeinschaftlich vertreten." In ihren Verhandlungsleitlinien nennt die EU die Punkte, die zuerst geklärt werden sollen: Rechtssicherheit für die 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und die 1,2 Millionen Briten in der EU, die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis und andere Rechte behalten sollen. Und eine "Finanzvereinbarung" über Verpflichtungen, die Großbritannien während der EU-Mitgliedschaft eingegangen ist. Ein weiterer Punkt ist Irland, das künftig durch eine EU-Außengrenze vom britischen Nordirland getrennt sein könnte. Erst wenn die EU einstimmig Fortschritte bei diesen Fragen festhält, will sie in einer zweiten Phase über die künftigen Beziehungen reden.

Was will Großbritannien?

Premierministerin May will Großbritannien aus dem europäischen Binnenmarkt führen, will aber eine "tiefe und besondere Partnerschaft" mit der EU und ein "ehrgeizigen Freihandelsabkommen", wie sie in ihrem Austrittsgesuch Ende März schrieb. Darüber will sie sofort verhandeln, gleichzeitig mit den Bedingungen der Trennung. "Wir glauben, dass es nötig ist, uns über die Bedingungen unserer künftigen Partnerschaft zusammen mit denen unseres Rückzugs aus der EU zu verständigen", schrieb sie. Diese Position bekräftigte May am Sonntag in der BBC.

Worüber wird es Streit geben?

Dies widerspricht klar der Linie der EU, die in zwei Phasen verhandeln will und sich in diesem Punkt knallhart gibt. Auch von den finanziellen Forderungen an Großbritannien wollen die anderen EU-Länder keinesfalls abrücken. Es geht um Zusagen für den EU-Haushalt, für Fonds, Kreditprogramme, Pensionen für EU-Beamte und etliches mehr, die weit in die Zukunft reichen. Zur Debatte stehen bis zu 60 Milliarden Euro. Brexit-Befürworter in Großbritannien wollen aber nicht mehr an die EU zahlen. In einem Gespräch mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker diese Woche soll auch May nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" gesagt haben, Großbritannien schulde den EU-Partnern nach dem Austritt nichts. Das dürfte ein großer Streitpunkt werden. Daneben gibt es Dutzende weitere - vom Umzug der EU-Behörden bis zur Zukunft Gibraltars.

Wo liegen Gemeinsamkeiten?

Zwei Prinzipien halten beide Seiten hoch. Zum einen plädiert auch May für eine rasche Vereinbarung über die künftigen Rechte der EU-Bürger in ihrem Land und der Briten in der EU. Zum anderen bekennt sie sich wie die EU-Seite zu dem Ziel: "Wir sollten zusammenarbeiten, um die Brüche so klein wie möglich zu halten und so viel Rechtssicherheit wie möglich zu schaffen." Beide Seiten denken an ihre Unternehmen und ihre Volkswirtschaften. Großbritannien liefert 44 Prozent seiner Exporte in die EU, die EU immerhin 9,5 Prozent ins Vereinigte Königreich.

Wie sind die Chancen auf Einigung?

Eigentlich nicht schlecht. Zwar gab sich Juncker nach dem Gespräch mit May ernüchtert ob ihres mangelnden Kompromisswillens und sagte nach Angaben aus EU-Kreisen: "Ich verlasse die Downing Street zehnmal skeptischer, als ich vorher war." Und May drohte am Sonntag in der BBC abermals unterschwellig: Sie ziehe es vor, kein Austrittsabkommen mit der EU zu schließen als ein schlechtes. Allerdings steckt May mitten im Wahlkampf und kann deshalb in den nächsten Wochen kaum nachgeben. Beiden Seiten ist klar, dass ein "harter Brexit" ohne Anschlussregelungen für Bürger und Unternehmen ein Desaster wäre. "Das wäre schlecht für uns alle", sagt ein hoher EU-Beamter. Und May: "Wir müssen deshalb hart daran arbeiten, ein solches Ende zu vermeiden."

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