Konflikte Befremdliche türkische Wünsche zu Amtshilfe für Erdogan

Berlin/Istanbul · Nach dem Putschversuch verlangt die Türkei von der Bundesrepublik jetzt Amtshilfe: Auch dort sollen Behörden gegen die Gülen-Bewegung vorgehen. Die Antwort aus Deutschland: So nicht.

 Tausende Deutschtürken wollen für den türkischen Präsidenten Erdogan auf die Straße gehen.

Tausende Deutschtürken wollen für den türkischen Präsidenten Erdogan auf die Straße gehen.

Foto: Oliver Berg/Archiv

Der Brief aus dem türkischen Generalkonsulat, der dieser Tage bei der Staatskanzlei in Stuttgart einging, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Nicht nur, dass Generalkonsul Ahmet Akinti "Unterstützung und Solidarität" verlangt, damit die Männer hinter dem Putschversuch gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan zur Verantwortung gezogen werden können. Der Karrierediplomat aus Ankara macht auch klar, wie das gemeint ist.

Wenn es nach der Türkei geht, sollen die Behörden auch hier in Deutschland gegen Einrichtungen vorgehen, die zur Hizmet-Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen gehören. Erdogan macht Gülen, der weitab in den USA lebt, für den Putschversuch verantwortlich. Hierzulande sind mit der Hizmet-Bewegung nach Schätzungen etwa 150 000 Menschen verbunden. Bundesweit gehören zu ihr rund 30 Schulen und etwa 150 Nachhilfevereine.

Wörtlich heißt es in dem Schreiben des Generalkonsuls nun dazu: "Wir möchten Sie (...) höflich darum bitten, die entsprechenden Organisationen, Institutionen, Vereine und Bildungseinrichtungen und deren Tätigkeit einer neuen Überprüfung zu unterziehen und angesichts der dramatischen Vorgänge in der Türkei eine neue Bewertung vorzunehmen." Ein Ruf nach dem Verfassungsschutz?

Die Antwort des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann auf den Brief fiel allerdings anders aus als erhofft. "Das hat mich in höchstem Maße befremdet. Genau das werden wir natürlich nicht machen", stellte der Grünen-Politiker klar. Zwar sei bekannt, dass es an der Gülen-Bewegung Kritik gebe. Aber: "Hier sollen Leute auf irgendeinen Verdacht hin grundlos verfolgt oder diskriminiert werden."

Ob und wie viele solcher Schreiben noch verschickt wurden, ließ sich am Freitag zunächst nicht klären. Der Brief des Generalkonsuls passt aber genau in den Kurs, den die Erdogan-Regierung aktuell gegenüber Deutschland fährt. Jüngster Aufreger ist die Forderung von Außenminister Mevlüt Cavusoglu, "manche Richter und Staatsanwälte" mit Gülen-Verbindungen an die Türkei auszuliefern. Namen nannte der Erdogan-Vertraute nicht.

Aber um wen es geht, daran gibt es auch so keine Zweifel: die beiden früheren Staatsanwälte Zekeriya Öz und Celal Kara, die sich einer Verhaftung im August 2015 durch Flucht ins Ausland entzogen. Es gibt Spekulationen, dass die zwei sich nach Deutschland abgesetzt haben. Mittlerweile gingen beim Auswärtigen Amt auch zwei offizielle Auslieferungsanträge ein.

Aus deutschen Regierungskreisen heißt es allerdings: "Wir haben keine Erkenntnisse, dass sich die beiden Staatsanwälte tatsächlich in Deutschland aufhalten." Zudem machte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deutlich, dass alle Auslieferungsanträge aus der Türkei nach streng "rechtsstaatlichen Prinzipien" geprüft würden.

In der Türkei sind die beiden Staatsanwälte keine Unbekannten. Sie waren Ende 2013 maßgeblich an Korruptionsermittlungen gegen das Umfeld Erdogans beteiligt. Die Ermittlungen wurden später eingestellt - und zum Versuch der Gülen-Bewegung erklärt, Erdogan stürzen zu wollen. Diese Umdeutung mag damals ein bequemer Weg gewesen sein, um die Angelegenheit zu beerdigen.

Dass Gülen-Anhänger nun aber den Putschversuch gegen Erdogan initiiert oder zumindest maßgeblich daran beteiligt waren, daran haben auch alle drei im Parlament in Ankara vertretenen Oppositionsparteien keinen Zweifel.

Es war in der Türkei schon länger kein Geheimnis. dass Anhänger Gülens - bis 2013 ein enger Verbündeter Erdogans - staatliche Institutionen unterwandert haben. Westliche Sicherheitsexperten schätzen zum Beispiel, dass zeitweise weit mehr als die Hälfte der Polizisten Verbindungen zur Gülen-Bewegung hatten. In einem Video aus dem Jahr 1999 ruft Gülen seine Anhänger ausdrücklich dazu auf, "alle Verfassungsinstitutionen der Staatsstruktur der Türkei" zu durchdringen - "ohne dass sie unsere Existenz bemerken".

Erdogans erklärtes Ziel ist nun, diese Staatsstruktur wieder zu "säubern". Angesichts von Tausenden Verhaftungen und Zehntausenden Suspendierungen warnen die beiden größten Oppositionsparteien - die Mitte-Links-Partei CHP und die pro-kurdische HDP - zwar einmütig vor einer "Hexenjagd". Allerdings trügt der Eindruck, Erdogan würde nun wahllos mit allen seinen Gegnern aufräumen.

Die Maßnahmen beträfen tatsächlich in erster Linie Gülen-Anhänger, sagt HDP-Chef Selahattin Demirtas. "Der Hauptfokus liegt auf Menschen, die Gülen nahestehen." Der Druck Erdogans auf die HDP habe seit dem Putschversuch sogar nachgelassen, sagt der Parteichef - der aber nicht daran glaubt, dass das von Dauer sein wird. Und Demirtas - kein Freund Gülens - warnt davor, nun alle Sympathisanten des Predigers mit Putschisten gleichzusetzen. "Nur Sympathie für die Gülen-Gemeinschaft zu empfinden, ist in der Türkei keine Straftat."

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