Analyse: Präsident planlos?

Washington · Im sommerlich-beigen Anzug mit einer schräg gestreiften hellgrauen Krawatte wirkt Barack Obama nicht wie jemand, der etwas Ernstes zu verkünden hat.

Zu fröhlich ist das Outfit, um Luftangriffe gegen die Terrormiliz IS in Syrien bekanntzugeben. Zu wenig staatstragend, um den Konflikt mit Russland über die Geschehnisse in der Ukraine weiter eskalieren zu lassen.

Kaum aus dem Urlaub zurück, stellt sich der "mächtigste Mann der Welt" den Journalisten im Weißen Haus. Nur gut eine Stunde zuvor wird der Auftritt angekündigt. Normalerweise geschieht so etwas nur, wenn Mr. President wirklich etwas zu sagen hat. Doch diesmal sind die Journalisten enttäuscht - statt markiger Worte gibt sich der US-Präsident harmlos wie selten. Derart zurückhaltend, derart vorsichtig hat man den Commander in Chief lange nicht mehr erlebt.

Seit Tagen diskutieren Experten in der amerikanischen Hauptstadt, ob der Oberbefehlshaber seine Streitkräfte künftig auch in Syrien Luftangriffe auf die Terroristen fliegen lässt. Viele meinen: Es kann nicht mehr lange dauern, bis er den Befehl gibt. Die Zeit drängt, die Terrormilizen müssten mit aller Härte bekämpft werden.

Doch Obama gibt dafür keine Hinweise. Er spricht lieber davon, für den Kampf gegen den IS weitere Partner in der Region zu finden und an einer umfassenden Lösung zu arbeiten. Er habe zwar auch das Pentagon um militärische Optionen gebeten, sagt er. Doch erst wolle er den Kongress einschalten. Und dann sagt Obama schließlich einen Satz, der viele völlig verblüfft: "Wir haben noch keine Strategie."

Keine Strategie? Gegen eine Terrortruppe, die Verteidigungsminister Chuck Hagel jüngst als größte Bedrohung der USA seit den Anschlägen vom 11. September 2001 bezeichnete? Gegen die seit drei Wochen mehr als 100 Luftangriffe im Irak geflogen wurden? Falls das ein Versprecher ist, dann vermutlich einer der schlimmsten in Obamas fünfeinhalb Jahren als Präsident.

Obamas Sprecher Josh Earnest eilt schnell vor die TV-Kameras, um den Schaden zu begrenzen. Sein Chef habe speziell die Militärstrategie für Syrien gemeint, sagt er. Doch Kommentatoren wundern sich. "Nicht sonderlich erhellend" sei das, meint ein CNN-Reporter. Ein Präsident, der nicht weiß, was er tun soll - das geht gar nicht.

Auch beim Thema Ukraine zeigt Obama einen auffälligen Hang zur Gemütsruhe. Dass Russland laut Nato mehr als 1000 Soldaten mit schweren Waffen in die umkämpfte Ostukraine geschickt hat, nennt er "ein bisschen offenkundiger" als das, was Moskau bislang gemacht habe - aber "nicht wirklich eine Verschiebung" der Lage.

Das Wort Invasion vermeidet Obama völlig. Stattdessen betont er, was Kremlchef Wladimir Putin wohl besonders gern hört. "Wir ergreifen keine Militärmaßnahmen, um das ukrainische Problem zu lösen".

Der Kontrast zu den Vorwürfen seiner Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, könnte kaum größer sein. Die Amerikanerin hatte Moskau der Lüge bezichtigt. "Die Maske kommt runter", erklärte Power in einer Sondersitzung des Sicherheitsrats. Was Russland in der Ukraine mache, sei "eine Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit von uns allen". Mehr als neue Sanktionen - oder "weitere Kosten und Konsequenzen", wie Obama das ausdrückt - muss Putin aber von US-Seite wohl dafür nicht fürchten.

Kritiker wie US-Senator John McCain gehen mit Obamas Zurückhaltung hart ins Gericht. "Russlands andauernde Aggressionen in der Ukraine können nur so genannt werden: eine grenzüberschreitende Militärinvasion", sagte der Republikaner am Donnerstag laut einer Mitteilung.

"Zu glauben, dass die Antwort jetzt ist, mehr vom Gleichen zu machen, oder sogar weniger, ist eine Torheit", meint McCain mit Blick auf weitere begrenzte Strafmaßnahem. Er fordert, sofort Geheimdienstinfos und Verteidigungswaffen an die Ukraine zu geben. Und Sanktionen sollten ganze Sektoren treffen, wie das Energie- oder Finanzwesen.

Ob der Auftritt des Präsidenten im Sommeranzug einen tiefen Einblick gab oder nur ein Ausrutscher war, wird sich wohl erst in den kommenden Tagen zeigen. Denn die Probleme mit der Terrormiliz IS und in der Ukraine bleiben hartnäckig. Obama kündigt weitere Sitzungen mit seinem Nationalen Sicherheitsrat an. In der kommenden Woche ist er dann auf Staatsbesuch in Estland und trifft seine Verbündeten beim Nato-Gipfel in Wales - vielleicht hat er bis dahin auch eine Strategie.

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