Analyse: Angst nach Schüssen in Slawjansk

Moskau/Slawjansk · Der russischsprachige Osten der Ukraine wurde auch während der Osterfeiertage von blutiger Gewalt erschüttert und kommt nicht zur Ruhe. Mehrere Tote und Verletzte meldeten moskautreue Aktivisten in der Stadt Slawjansk.

 Ausgebrannt und von Kugeln zersiebt: Ein Autowrack in Slawjansk. Foto: Roman Pilipey

Ausgebrannt und von Kugeln zersiebt: Ein Autowrack in Slawjansk. Foto: Roman Pilipey

Foto: DPA

Ihre Posten seien angegriffen worden - angeblich vom ultranationalistischen Rechten Sektor. Der selbst ernannte Bürgermeister von Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, präsentierte im russischen Staatsfernsehen am Ostermontag Waffen und andere angebliche Beweise für die Verbrechen der Rechtsextremen.

Doch unklar ist, wer auf die "Selbstverteidigungskräfte" von Slawjansk geschossen hat - der Rechte Sektor wies Schuldvorwürfe zurück und behauptete, es handele sich um das Werk russischer Geheimdienste. Dass Russland die Lage in der Region weiter destabilisieren will, daran hat auch die prowestliche Regierung in Kiew keinen Zweifel.

Ob aber Russland an den Gewalttaten beteiligt ist, dafür gibt es keine Beweise. Auch ukrainische Behörden hatten zuletzt immer wieder betont, dass auch finanzkräftige Anhänger des im Februar gestürzten und nach Russland geflüchteten Präsidenten Viktor Janukowitsch Interesse an einer Gewalteskalation hätten.

Moskau und Kiew beschuldigen sich inzwischen täglich lautstark, nichts für eine Entspannung zu tun. Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf der von den USA unterstützten Führung in Kiew Unfähigkeit vor. Verfassungsreformen würden verschleppt, Sorgen und Ängste der russischsprachigen Bevölkerung nicht ernst genommen. Zudem müsse auch der bereits seit November von proeuropäischen Kräften belagerte Maidan - der Unabhängigkeitsplatz in Kiew - nun geräumt werden.

Die ukrainische Regierung will nach Ostern die aktive Angriffsphase des "Anti-Terror-Einsatzes" wieder aufnehmen, um die prorussischen Uniformierten zu entwaffnen. Innenminister Arsen Awakow sagte, es sei kein Wunder, dass in Slawjansk am Osterwochenende Menschen gestorben seien. Immerhin hätten die Aktivisten eine Polizeiwache besetzt und 400 Waffen an Bürger ausgeteilt, darunter an viele Kriminelle.

Für die Menschen in der Region wird die Lage von Tag zu Tag unerträglicher. Bewohner von Slawjansk berichteten der Nachrichtenagentur dpa telefonisch, dass sie Angst hätten, aus dem Haus zu gehen. Die Hochschule, Kindergärten und Schulen seien geschlossen. "Ich hoffe, dass es bald vorbei ist", sagte eine Frau.

Die Menschen litten unter der Situation. Sie bekämen zum Beispiel keine Renten ausgezahlt, weil Behörden nicht funktionierten, sagte der deutsche Diplomat Klaus Zillikens dem kremlkritischen Radiosender Echo Moskwy. Er leitet im Raum Donezk die Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Die unbewaffneten OSZE-Beobachter sollen die prorussischen Uniformierten dazu bringen, die besetzten und verbarrikadierten Gebäude in Städten wie Donezk und Lugansk zu räumen und Waffen abzugeben. Leicht werde das aber nicht, sagte Zillikens. Die ukrainische Regierung setzt nun - wie auch von Russland gefordert - verstärkt auf Dialog mit den nach Moskau orientierten Kräften.

Die prowestliche Präsidentenkandidatin Julia Timoschenko reiste erstmals in der Krise nach Donezk, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Der frühere Innenminister Juri Luzenko soll direkt zwischen der Regierung und prorussischen "Selbstverteidigungskräften" vermitteln. Interimspräsident Alexander Turtschinow versprach, der russischen Sprache in der Region einen offiziellen Status einzuräumen, Machtbefugnisse dorthin abzugeben und wichtige Posten im Raum Donezk nach Wunsch der Bevölkerung zu besetzen.

Zuletzt hätten sich die Ukrainer im russischsprachigen Osten und Süden von den neuen Machthabern in Kiew unverstanden gefühlt, sagte der Soziologe Jewgeni Kopatko. "Die Mehrheit will weder eine Abspaltung von der Ukraine noch ein Protektorat Russlands", sagte er. Nur wer ihre Interessen ernst nehme, könne die Krise am Ende lösen.

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