Erdbeben Amatrice richtet sich auf langen Notstand ein

Amatrice · Viele retteten kaum mehr als ihr nacktes Leben: In Amatrice laufen Überlebende im Pyjama durch das vom Erdbeben verwüstete Städtchen. Sie müssen sich auf eine längere Zeit ohne eigenes Dach über dem Kopf einstellen.

Für hunderte Menschen im mittelitalienischen Amatrice ist es die erste von vielen obdachlosen Nächten. Das verheerende Erdbeben mit mindestens 247 Toten kam um drei Uhr morgens, weshalb manche Überlebende nun in Schlafanzügen und Hausschuhen herumlaufen.

Sie können keine Sachen aus ihren zerstörten oder einsturzgefährdeten Häusern holen, und sie sind nicht darauf vorbereitet, Nächte bei weniger als zehn Grad draußen zu verbringen. Zwei jugendliche Brüder haben ein Paar Latschen und ein Paar Lederstiefel. Sie wechseln sich damit je nach Bedarf ab.

Das Beben hat die Gemeinde kurz vor einem beliebten Pasta-Festival getroffen. Bürgermeister Sergio Pirozzi schätzt, dass bis zu 40.000 Menschen im 2600-Einwohner-Ort Amatrice und den fast 70 umliegenden Dörfer waren. Die meisten von ihnen waren Ferienhaus-Besitzer und Touristen, die zurück in ihre Heimat geflohen sind. Für rund 1000 permanente Bewohner gibt es aber nur noch Notunterkünfte.

Italiens Zivilschutzbehörde hat auf dem Fußballplatz von Amatrice Zelte aufgestellt. Die Sporthalle nebenan ist mit hunderten von Campingliegen gefüllt. Weitere Zelte stehen auf einem nahegelegenen Spielplatz. Eine Gruppe von Mittzwanzigern erzählt, dass sie lieber in Autos übernachten, um bei weiteren Beben schneller entkommen zu können. Mehr als 250 Nachbeben hat es schon gegeben.

"Wir müssen uns auf eine lange Zeit des Notstands einstellen", sagt Premierminister Matteo Renzi bei einem kurzen Besuch. "Wir müssen alle der Herausforderung gewachsen sein."

Der 71-jährige Bauer Roberto Alimenti erzählt, es sei ein Wunder, dass seine Tochter und zwei Enkelinnen es unbeschadet aus ihrem völlig zerstörten Haus geschafft hätten. Sie kämen nun bei Verwandten in Rom unter. Er und seine Frau hätten sich entschieden zu bleiben.

"Wohin soll ich gehen? Ich muss mich um meine Hunde und Hühner kümmern", sagt Alimenti. "Außerdem haben alle unser Dorf verlassen, und ich will darauf aufpassen. Wenn Häuser unbeaufsichtigt sind, kann es passieren, dass geplündert wird."

Andere Menschen haben traurigere Gründe, zu bleiben. Auf der Piazza Sanotti harren mindestens drei Familien aus, die auf Neuigkeiten über ihre Angehörigen warten. Eine Frau sagt ihrem Mann weinend: "Mutter ist weg."

Zwei Gebäude an dem Platz sind eingestürzt, und Feuerwehrleute durchsuchen sie stundenlang in der vagen Hoffnung, Überlebende zu finden. Von Parkbänken aus sehen ihnen Überlebende dabei zu. Polizisten und Helfer versuchen, den Bangenden Trost zu spenden.

Den Bewohnern von Amatrice wieder Hoffnung zu geben, hat für Bürgermeister Pirozzi oberste Priorität. Er werde sein Amt als Trainer einer örtlichen Fußballmannschaft niederlegen, um sich voll dem Wiederaufbau zu widmen, sagt er vor versammelten Journalisten.

Eine Rückkehr zur Normalität ist für viele Menschen hier allerdings undenkbar. "Mit dieser Stadt ist es vorbei, da bin ich mir 100-prozentig sicher", sagt der Landwirt Alimenti. "Wie soll sie darüber hinweg kommen, bei so vielen Toten?"

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