Abgeordnete in Zeiten von Cyber-Angriff

Berlin · Steckt vielleicht Wladimir Putin dahinter? Ist es möglicherweise eine Art Rache dafür, dass der Westen und ganz voran auch Kanzlerin Angela Merkel den Kremlherrscher wegen dessen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und des Vorgehens in der Ostukraine international isolieren wollen?

Jedenfalls verdichten sich bei den Sicherheitsbehörden die Hinweise, dass der Urheber der seit rund vier Wochen laufenden Cyber-Attacke gegen den Bundestag auf russischem Boden sitzt. Beweise gibt es dafür allerdings noch nicht.

Im Bundestag ist trotz des Hackerangriffs, der alle Abgeordnete quer durch Regierungs- und Oppositionsfraktionen genauso betrifft wie die Parlamentsverwaltung, von großer Aufregung kaum etwas zu spüren. Dabei sprechen informierte Abgeordnete vom schwersten Cyber-Angriff, den es je auf den Bundestag oder eine Bundesbehörde gegeben hat. Den Angreifern ist es gelungen, eine Spähsoftware in den innersten Kern der IT-Infrastruktur von "Parlakom" einzuschmuggeln, dem Datennetz des Bundestages. Sie könnten so Zugang zu sämtlichen Computern des Systems bekommen. Doch es ist eine diffuse Angst.

Was heißt das für die Arbeit der Abgeordneten? Linken-Frau Sabine Leidig spricht von Resignation. Von einem Gefühl, dass man ohnehin keinen Einfluss auf das Geschehen habe. Also gibt es keine Konsequenzen für den Einzelnen? Sie habe ihre Passwörter ausgetauscht, sagt Leidig. Vertrauliches bespreche sie ohnehin nur persönlich.

Ihre Fraktionskollegin Sevim Dagdelen berichtet, ihre Arbeit sei durch den Angriff massiv erschwert worden. "Weil lange Zeit überhaupt keine Zugriffe möglich waren und das Internet sehr, sehr träge war." Am Kommunikationsverhalten ändere die Attacke aber nichts: Vertrauliches bespreche sie von Angesicht zu Angesicht. "Weil sowieso bekannt ist, dass die NSA im Zusammenarbeit mit dem BND alles hier überwacht." Die Aufregung über den Angriff sei daher heuchlerisch. Die Affäre um die Zusammenarbeit des US-Geheimdienstes mit dem deutschen Auslandsnachrichtendienst ist für die Linkspartei eines der wichtigsten parlamentarischen Themen derzeit.

"Für den einzelnen Abgeordneten ist die Sache sicher weniger dramatisch, als sie für Unternehmen oder Banken wäre", sagt Michael Kretschmer (CDU), Bildungs- und IT-Experte der Unionsfraktion. "Klar, das belastet unsere Arbeit. Aber für ein Wirtschaftsunternehmen wäre es existenzbedrohend - schon wegen des Image- und Vertrauensschadens." Was beim Bundestag möglich sei, könne auch bei Wasserwerken, bei Elektrizitätswerken, bei Banken und Versicherungen passieren. "Deswegen müssen wir uns hier stark machen."

Bei vielen herrscht Ratlosigkeit. Kordula Schulz-Asche von den Grünen beklagt eine schlechte Informationspolitik durch die Bundestagsverwaltung. "Ich habe keine Ahnung, ob mir Daten geklaut wurden", rätselt sie. "Ich bin von der Bundestagsverwaltung als einzelne Abgeordnete bisher überhaupt noch nicht richtig informiert worden."

In den Koalitionsfraktionen war zuletzt der Ärger darüber gewachsen, dass das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und das für Spionageabwehr zuständige Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) nicht längst stärker bei der Aufklärung aktiv waren. Seit Jahren kümmert sich das BSI um die Cybersicherheit von Bundesbehörden und Regierung. Ein- und ausgehende elektronische Post wird auf mit Trojanern verseuchte Anhänge gescannt. Zugriffe von Mitarbeitern auf Internetseiten, in denen versteckte Schadsoftware wartet, werden verhindert. Doch der Bundestag wollte sich bisher nicht an diesen Sicherheitsmaßnahmen beteiligen.

Etliche Abgeordnete haben sich bisher gegen ein Eingreifen von BSI und Verfassungsschutz gestemmt. Oppositionsabgeordnete sind grundsätzlich misstrauisch, wenn es um Geheimdienste geht - die Linkspartei will sie am liebsten komplett abschaffen. Genährt wird das Misstrauen auch durch die Wurzeln, die das BSI hat: Es ist aus der geheimen Zentralstelle für das Chiffrierwesen hervorgegangen, die sich in den 50er Jahren um die Ver- und Entschlüsselungstechnik des Bundesnachrichtendienstes (BND) kümmerte.

Andere Abgeordnete fürchten außerdem um die verfassungsrechtlich garantierte Trennung von Gesetzgebung und Staatsgewalt. Vor allem in den Koalitionsreihen wuchs deswegen der Groll. Er habe kein Verständnis für jene, die selbst bei einer akuten Bedrohung "ihre Klischees und ihre Nachrichtendienstphobie pflegen", zürnt ein Unionsmann. Seit Donnerstagnachmittag kann er etwas aufatmen. Demnächst soll sich nun auch der Verfassungsschutz um die Cyberattacke kümmern dürfen.

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