Parteitag in Bonn Zerrissenheit der SPD besteht auch nach Abstimmung

Bonn · Die SPD hat in Bonn für Koalitionsverhandlungen mit der Union gestimmt - aber das Ergebnis der Abstimmung war knapp. Auch Martin Schulz´ leidenschaftliche Rede zuvor, konnte nicht alle überzeugen. Die Partei zeigt sich zerrissen.

Martin Schulz und Andrea Nahles auf dem Bundesparteitag in Bonn.

Martin Schulz und Andrea Nahles auf dem Bundesparteitag in Bonn.

Foto: dpa

Am Ende dauert es dann doch länger als geplant. Die Luft im Bonner WCCB ist verbraucht, viele Gesichter sind müde, alle Argumente sind ausgetauscht. Als Versammlungsleiter Heiko Maas zur Abstimmung ruft, liefert erst eine Auszählung quälend lange Minuten später das Ergebnis: Die Delegierten sind dem Antrag der Parteispitze gefolgt, Koalitionsverhandlungen mit der Union aufzunehmen. Es ist knapp: 362 Mal „Ja“, 279 Mal „Nein“, eine Enthaltung. Das sind nur 56 Prozent Zustimmung. Der Applaus: spärlich. Als wäre den Klatschenden die Sache nicht geheuer.

Es ist das Ende einer fünfstündigen, teils hitzigen Aussprache über nichts weniger als die Zukunft der SPD. 600 Delegierte aus ganz Deutschland waren am Sonntag nach Bonn gekommen, um darüber abzustimmen, ob die Partei auf Grundlage des mit der Union verhandelten Sondierungspapiers in Koalitionsverhandlungen eintreten soll oder nicht. Und damit ging es um die Frage: Kann sich die SPD als erneuter Juniorpartner der Union wirklich erneuern und wieder stark werden – oder geht das nur in der Opposition?

Als der Parteitag um 11.15 Uhr beginnt, ist noch völlig offen, wie die Delegierten abstimmen werden. Zwar streut die Parteispitze, dass es schon gutgehen werde. Der Leitantrag wurde noch hastig erweitert und Aussicht gegeben auf mehr Verhandlungsspielraum, um den Groko-Gegnern eine Brücke zu bauen. Aber auf der Bühne und im Foyer des WCCB geben sich viele Gegner zu erkennen. „Große Koalition, das wäre bloßes Weiter-so“, sagt ein Delegierter. „Und das wollen wir nicht“.

Rede von Martin Schulz reißt nicht mit

Um 11.45 Uhr tritt SPD-Chef Martin Schulz ans Pult. Es ist die wohl wichtigste Rede seiner Karriere, es geht auch um seinen Job. Schulz ist laut, gibt sich leidenschaftlich, lobt die Sondierungsergebnisse Punkt für Punkt. Gerade bei der Bildung habe sich die SPD „eins zu eins“ durchgesetzt. Und die Leute im Land hätten mit der SPD mehr „Cash in de Täsch“. Dies alles sei nur mit der SPD zu erreichen. Schulz piekst mit dem Finger, greift sich an die Stirn, hackt mit der Handkante, beschert die „Chance“, das Leben vieler Menschen besser zu machen. Alles andere wäre „fahrlässig“.

Es ist eine Rede, die leidenschaftlich klingt, die aber niemanden mitreißt. Schulz’ Kunstpausen füllen sich nur spärlich mit Applaus. Auch als er verspricht, die SPD werde „nicht Juniorpartner“, sondern „sichtbar, hörbar und erkennbar“.

Weitgehend still bleibt es auch, als er ankündigt, in den Verhandlungen mit der Union bei den Herzensthemen noch was rauszuholen, etwa die sachgrundlose Befristung bei Arbeitsverträgen oder Härtefallregelungen beim Familiennachzug für Flüchtlinge. Die „Erneuerung“ der Partei habe außerdem erste Priorität. Schulz redet fast eine Stunde. Der Applaus dauert nicht mal eine Minute.

Anders bei Juso-Chef Kevin Kühnert, dem Anführer der Groko-Gegner. In sachlichem Ton erklärt er, warum er fürchte, seine Partei könne in einer weiteren Koalition mit Angela Merkel noch weiter schrumpfen. Der 28-Jährige spricht von „Vertrauenskrise“ und kritisiert die „wahnwitzigen Wenden“ der Parteiführung nach der Bundestagswahl. Das zielt vor allem gegen Schulz, der mehrfach eine neue Groko ausgeschlossen hatte und dann eine spektakuläre Wende vollzog. „Wir müssen heute einmal ein Zwerg sein, um künftig wieder ein Riese werden zu können“, ruft Kühnert in Anspielung auf die „Zwergenaufstand“-Lästereien von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Kühnerts Rede wird von Jubel und Applaus aus der Ecke der Jusos begleitet. Auf der Bühne sitzt die gescholtene Parteispitze: Fraktionschefin Andrea Nahles blickt auf den Tisch, Schulz hat die Augenbrauen zusammengezogen, Malu Dreyer kratzt sich hinter dem Ohr.

SPD-Parteitag im WCCB in Bonn

Delegierte der Bonner SPD skeptisch

Es ist 15.45 Uhr, als Nahles dann der Kragen platzt. „Wir geben doch die SPD nicht auf, wenn wir uns für eine Regierung mit der Union entscheiden“, ruft sie in den Saal. Nahles redet sich in Rage, ihre Stimme überschlägt sich. Wer glaube, die Sozialdemokraten dürften nur mitregieren, wenn sie sich vorher zu hundert Prozent durchgesetzt haben, liege falsch. „Die Bürgerinnen und Bürger zeigen uns nen Vogel“, brüllt Nahles in den Saal. Unter lautem Applaus verspricht sie: „Wir werden verhandeln, bis es quietscht auf der anderen Seite!“ Ihre kämpferische und umjubelte Rede könnte die entscheidende gewesen sein, um die Delegierten zu einem „Ja“ zu Koalitionsverhandlungen zu bewegen. Es ist die Rede, die Schulz gerne gehalten hätte.

Die drei Delegierten der Bonner SPD verfolgen den Verlauf der Diskussion mit skeptischem Blick. Schulz hat sie nicht vom Hocker gerissen. „Eine ernste Rede, eine nüchterne Rede“, sagt Gabriel Kunze, SPD-Vorsitzender in Bonn. Das Herz der Partei habe der Parteichef nicht erreicht. Aber auch in der Sache ist Kunze vom Sondierungsergebnis nicht überzeugt.

Gabi Mayer macht sich Sorgen um die inhaltliche Erneuerung. Mayer ist in der Bonner SPD für die Neumitglieder zuständig. 2017 konnte sie vielen neuen Sozialdemokraten Parteibücher aushändigen. Wegen einer neuen Groko seien die nicht in die Partei eingetreten, sagt Mayer, sondern „weil sie einen Politikwechsel wollen.“ Jessica Rosenthal von den Bonner Jusos hat vor allem inhaltliche Probleme mit dem Sondierungsergebnis – und kein Vertrauen, dass große Verbesserungen zu erreichen sind.

Über Stunden geht es hin und her im WCCB. Das Partei-Establishment trommelt für die Groko, vor allem junge Parteimitglieder argumentieren dagegen. Auch wenn die Entscheidung am Ende gefallen ist – die Zerrissenheit der SPD besteht fort.

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