Interview mit Lamya Kaddor "Wir brauchen ein Einwanderungs-Ministerium"

Dinslaken · Lamya Kaddor fordert eine professionalisierte Integrationsarbeit. Vorfälle von Köln hätten vermieden werden können.

Lamya Kaddor vertritt zu den Kölner Übergriffen eine klare Meinung: Wenn der Staat Integration will, muss er mehr tun.

Was sagen Sie als Islamwissenschaftlerin zu den Übergriffen von Köln? Sind sie auf jeden Fall oder auf gar keinen Fall kulturell motiviert?
Lamya Kaddor: Mir zeigen die Vorfälle, dass es dem Islam in großen Teilen nicht gelungen ist, das Patriarchat in die Schranken zu weisen. Die Männer halten daran fest, mit aller Macht. Darum geht es: um Machtfragen. Es ist ein Thema für Soziologen, für Religionspädagogen. Leider führen wir im Moment in Deutschland aber nur eine Ausländer- und Rassismus-Debatte.

Spielen Koran oder Kultur eine Rolle in dem Verhalten, das sich am Kölner Hauptbahnhof gezeigt hat?
Kaddor: Es gibt keinen Islamgelehrten, der Muslime auffordert, Frauen zu vergewaltigen. Aber natürlich findet sich in Sure 4:34 der Hinweis, dass man die Ehefrau, wenn sie Probleme mache, schlagen dürfe. Das gibt leider eine gewisse Denkrichtung vor. Wir kennen Vergewaltigungen auch von den Protesten am Tahrir-Platz in Ägypten. Da mussten sich die Opfer hinterher Kritik anhören: Warum gehst du da auch hin? Diese Argumente kennen wir auch in Deutschland zur Genüge.

... ebenso wie Übergriffe von deutschen Männern bei Großveranstaltungen ...
Kaddor: Ja, dieser Teil der Debatte geht völlig unter. Beim Oktoberfest gibt es jedes Jahr Sexualdelikte bis hin zu Vergewaltigungen - auch wenn die Kölner Silvesternacht eine andere Dimension hatte, ist das ein gravierender Missstand, der kaum Aufschrei provoziert. Erst wenn Ausländer deutsche Frauen überfallen, scheint es für manche ein Problem zu sein.

Ihre Eltern kommen aus Syrien, leben seit vielen Jahren in Deutschland. Wie hat Ihre Familie auf die Nachrichten reagiert?
Kaddor: Mit Unverständnis. Mit Ekel und Wut.

In skandinavischen Ländern gibt es Werte- und Verhaltenskurse für Flüchtlinge. Finden Sie das sinnvoll - oder diskriminierend?
Kaddor: Ich glaube, dass diese Kurse nutzen, bin aber für Integrationskurse, an denen alle - auch Chinesen oder Kanadier - teilnehmen. Wir müssen die Einwanderung in Deutschland endlich professionalisieren, systematisch strukturierte Integrationsprozesse schaffen. Das lässt sich nicht nebenher erledigen. Wir brauchen ein Einwanderungsministerium. Dies zu fordern, scheuen Politiker aber vermutlich aus Angst, Wählerschichten zu verprellen. Zurzeit sieht die Lage so aus: Deutschland adoptiert Kinder, die es nicht erziehen will - und wundert sich am Ende, dass sie unflätig sind.

Hätten die Vorfälle von Köln sich vermeiden lassen?
Kaddor: Zumindest ließe sich die Gefahr reduzieren. Muss es sein, dass Flüchtlinge nach ihrer Ankunft erst einmal ein halbes Jahr herumsitzen, zum Nichtstun verdammt sind? Sie laufen Tausend Kilometer in der Erwartung in einem freien Land anzukommen - und stellen dann fest, dass sie Monate in einer Art Quarantäne bleiben müssen. Das ist keine Rechtfertigung, sondern der Versuch, diesen Ausbruch zu verstehen, um gegensteuern zu können. Wer frustriert ist, verfällt schnell in falsche Verhaltensmuster. Das ändert nichts daran, dass ich die geplante Verschärfung des Sexualstrafrechts begrüße. Bedauerlich ist nur, dass vieles erst als Konsequenz der Silvesterereignisse passiert und weil Rechtspopulisten die Politik vor sich hertreiben.

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