Eklatante Missstände So marode sind die Straßen in NRW

DÜSSELDORF · Der NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) hat den Bericht über die Situation der Straßen für Nordrhein-Westfalen vorgelegt. Ein Experte befürchtet Milliardenkosten.

Mehr als die Hälfte des Landesstraßen-Netzes in Nordrhein-Westfalen hat eine „schlechte“ oder „sehr schlechte“ Bausubstanz. Das geht aus einem Bericht hervor, den NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) jetzt im Landtag vorgestellt hat. Während der Anteil der ungenügenden Landesstraßen-Kilometer nach den jüngsten Zahlen bei 58 Prozent liegt, lag er im Jahr 2004 nur bei 39 Prozent.

Der Verkehrsforscher Michael Schreckenberg spricht von einer tickenden Zeitbombe. „Die Landespolitik hat sich über Jahrzehnte auf den Neubau von Straßen konzentriert und dabei den Erhalt des bestehenden Netzes vernachlässigt“, sagt der Professor von der Universität Duisburg-Essen. Nach seiner Einschätzung wird die Sanierung des Landesstraßen-Netzes in den kommenden Jahren Milliarden verschlingen und zusätzlich neben dem bekannten Problem der Autobahnbaustellen auch auf dem Land für erhebliche Verkehrsbehinderungen sorgen.

Die Landesstraßen sind mit 13 100 Kilometern der größte Block im überörtlichen NRW-Straßennetz. Sie werden überwiegend vom Land finanziert. Hinzu kommen 4450 Kilometer Bundesstraßen und 2220 Kilometer Autobahnen, deren Erhalt vor allem der Bund finanziert. „Der Zustand der Bundesstraßen und Autobahnen ist besser, weil die Instandhaltungsinvestitionen dort weniger vernachlässigt wurden“, sagt Schreckenberg. Das bestätigt auch ein Bericht, den der Landesbetrieb Straßenbau Ende 2017 vorlegte. Demnach sind nur 19 Prozent der Autobahnen in Nordrhein-Westfalen in einem „schlechten“ oder „sehr schlechten“ Zustand. Von den Bundesstraßen fallen 32 Prozent in eine der beiden Kategorien.

Schreckenberg erklärt die Vernachlässigung von Straßensanierungen so: „Wenn ein Politiker Geld in eine neue Ortsumgehung steckt, jubelt das Dorf. Aber wenn eine Straße saniert wird, sieht hinterher alles so aus wie vorher und alle fragen sich, was die Baustelle eigentlich sollte.“

Erst die rot-grüne Landesregierung leitete nach dem Regierungswechsel im Jahr 2010 die Wende ein und stockte die Mittel für die Landesstraßensanierung konsequent auf. Unfreiwillige Hilfe bekam sie zwei Jahre später durch den Skandal um die Leverkusener A1-Brücke, deren katastrophaler Zustand plötzlich rigorose Sperrungen für Lastwagen notwendig machte und bis heute ein weiträumiges Verkehrschaos anrichtet. „Damit war öffentlich besser vermittelbar, warum Sanierungsinvestitionen in Straßen und Brücken mindestens so wichtig wie Neubauten sind“, erinnert sich der verkehrspolitische Sprecher der Landtagsgrünen, Arndt Klocke.

Der aktuelle NRW-Verkehrsminister Wüst wirft Rot-Grün trotzdem vor: „Die bisherige Verkehrspolitik hinkte den wachsenden Mobilitätsbedürfnissen von Gesellschaft und Wirtschaft ständig hinterher.“ Er stockte die Erhaltungsmittel für die Landesstraßen im laufenden Jahr um weitere gut 30 Millionen auf rund 160 Millionen Euro auf. Laut Landesrechnungshof müssten es allerdings jährlich 200 Millionen Euro sein. Diesen Betrag will die Landesregierung erst ab 2021 bereitstellen. Zum Vergleich: Für den Neu-, Um- und Ausbau der Landesstraßen sind im laufenden Jahr 56 Millionen Euro vorgesehen.

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