GA-Serie "Macht und Mehrheit" Sind Lobbyisten eine Gefahr für die Demokratie?

Bonn · Rund 6000 Lobbyisten sollen in Berlin tätig sein. Die Öffentlichkeit verfolgt ihre Arbeit meist mit Skepsis. Schaden die Interessenvertreter der Demokratie? Oder sind sie unverzichtbar? Ihr Einfluss muss transparenter werden, fordern Kritiker.

Die engen Beziehungen und Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben in Deutschland Tradition. Schließlich ist im Grundgesetz fest verankert, dass jeder im parlamentarischen Prozess seine Interessen vertreten kann und soll. Möglichst viele Menschen sollen sich am Demokratieprozess beteiligen und ihre Argumente, ihr Wissen und ihre Kompetenzen einbringen. Im Idealfall sammelt die Politik dann diese Informationen, wägt sie gegeneinander ab und trifft am Ende eine Entscheidung, die dem Gemeinwohl dient. Im Idealfall.

Diversen Meinungsumfragen zufolge haben viele Bundesbürger mittlerweile ein eher negatives Bild vom Lobbyismus, was durch die Bankenkrise oder – ganz aktuell – den Abgasskandal natürlich befeuert wird. Oder die immer wiederkehrenden Berichte über Politiker, die die Seiten wechseln – „Drehtüreffekt“ heißt das im Fachjargon. Nicht wenige Menschen fühlen sich deshalb von der Politik für dumm verkauft, glauben, dass ohnehin alles ein „abgekartetes Spiel“ sei. Der Weg zur Politikverdrossenheit ist da nicht mehr weit.

In einem von Transparency International – ein gemeinnütziger, parteipolitisch unabhängiger Zusammenschluss von Menschen, die sich dem globalen Kampf gegen Korruption verschrieben haben – beauftragten Beitrag zum Thema Lobbyismus erklärt der Politikwissenschaftler Rudolf Speth unter anderem, warum der Begriff Lobbyismus heute überwiegend negativ eingefärbt ist: Lobbying habe früher überwiegend in Form der traditionellen Interessenvertretung in aller Regel über Verbände seinen von der Bevölkerung akzeptierten Platz gehabt. Doch heute verträten immer mehr Unternehmen durch eigene Strategien ihre Partikularinteressen direkt gegenüber der Politik. Dazu kommen viele weitere Lobbyakteure, darunter auch sogenannte Auftragslobbyisten, die in Public-Affairs-Agenturen oder in Anwaltskanzleien sitzen. Unterscheiden muss man dabei also zwischen dem vom Gesetzgeber durchaus erwünschten Lobbyismus und der Durchsetzung von Partikularinteressen durch massive Einflussnahme bis hin zur Interessenvertretung mit kriminellen Hintergründen, wie es etwa bei Karlheinz Schreiber der Fall war, der als Rüstungslobbyist bezeichnet wurde, tatsächlich aber Vermittlungsgeschäfte für Kriegswaffen betrieben hat. Darunter leiden die Makler von Interessen, die durch Politikbeobachtung und Abgabe von Stellungnahmen im geordneten Gesetzgebungsverfahren für ihre jeweiligen Gruppierungen auftreten.

Eindeutige Definition des Begriffs gibt es nicht

Roman Ebener von abgeordnetenwatch.de – eine institutionell unabhängige Internetplattform des gemeinnützigen Vereins Parlamentwatch e.V.– schätzt, dass mittlerweile etwa rund 6000 Lobbyisten in Berlin unterwegs sind. Aber: „Eine eindeutige Definition gibt es für den Begriff eigentlich nicht“, sagt er. Muss man sich vor diesem Hintergrund um die Demokratie in Deutschland nicht Sorgen machen, weil Lobbyisten immer mehr zu Strippenziehern hinter den Kulissen der Parlamente werden? „Nicht jeder Lobbyist hat Einfluss“, so Ebener, „aber ich sehe, dass das Vertrauen der Menschen in unsere Demokratie schwindet.“

Ebener nennt ein Beispiel: Deutschland habe sich mit der Unterzeichnung des Tabakrahmenübereinkommens der Weltgesundheitsorganisation WHO zu einem Außenwerbeverbot für Tabak verpflichtet. Doch obwohl ein entsprechender Gesetzentwurf vom Kabinett verabschiedet wurde, sei er bisher im Bundestag nicht auf die Tagesordnung gekommen, weil ihn Teile der Regierungskoalition wohl auf Druck der Tabakindustrie blockierten. Grundsätzlich ist Ebener nicht gegen Lobbyismus, „solange dieser transparent gemacht wird und die Wähler die Entscheidungen der Parlamentarier auch detailliert nachvollziehen können“.

Freien Zutritt zur Schaltzentrale der Macht

Ebener ist froh, dass die Bundestagsverwaltung nach langer gerichtlicher Auseinandersetzung veröffentlichen musste, welche Lobbyisten von welcher Fraktion einen Hausausweis erhalten und freien Zugang zur Schaltzentrale der Macht hatten. Nach der Veröffentlichung wurde die Möglichkeit für Fraktionen, Ausweise zu vergeben, abgeschafft. Doch nach wie vor können Lobbyisten sowohl Hausausweise als auch Tageseinladungen erhalten. Transparenz schaffe nur ein zentrales Lobbyregister, in dem alle Lobbyisten verzeichnet sein müssten, sagt er.

Dagegen hätte auch Axel Wallrabenstein nichts. „Ich bin auch auf jeden Fall für Transparenz“, sagt der frühere Bundesgeschäftsführer der Jungen Union und heutige Chef der Public Affairs Agentur MSL Germany unter anderem mit Sitz in Berlin, „doch in einem solchen Register müssten auch die Anwaltskanzleien, die ebenfalls als Dienstleister für Unternehmen an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft tätig sind, verzeichnet sein und dürften sich nicht auf Mandantenschutz berufen“. Wallrabenstein plädiert für eine differenzierte Betrachtung der Lobbyarbeit von Wirtschaftsunternehmen, „da geht es doch nicht allein um Profit, wie es gerne in der Öffentlichkeit dargestellt wird, sondern auch um Arbeitsplätze und vieles mehr“.

"Gespräche sind durchaus sinnvoll"

Überwiegend einig bei dem Thema Lobbyismus sind sich die Bonner Bundestagsabgeordneten Claudia Lücking-Michel (CDU), Katja Dörner (Grüne) und Ulrich Kelber (SPD). Sie halten die Zusammenarbeit mit Lobbyisten sogar für unverzichtbar. „Gespräche mit Lobbyisten sind durchaus sinnvoll, um sich vor einer Entscheidung umfassend über die wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte eines Vorhabens zu informieren“, so Kelber „Wer das ablehnt, ist undemokratisch.“ Allerdings ist für alle drei Politiker eine größtmögliche Transparenz im Umgang mit Lobbyisten die Voraussetzung dafür. Kelber, der als Verbraucherschutzstaatssekretär wohl eher im Interesse der Lobbyisten steht – „ich kann jeden Tag drei Akten mit Einladungen füllen“ –, listet deshalb auf seiner Webseite öffentlich auf, mit welchen Lobbyisten er gesprochen hat. Für seine CDU-Kollegin Lücking-Michel, die vor allem in der Bildungs-, Forschungs- und Entwicklungspolitik unterwegs ist – „da ist die finanzkräftige Lobby eher weniger präsent“ –, wird Lobbyismus dann zur Demokratiegefahr, „wenn hilfreiche Zuarbeit aufhört und Einflussnahme anfängt“.

Ein striktes Nein zum Lobbyismus kommt von Alexander Neu, Linken-Bundestagsabgeordneter aus dem Rhein-Sieg-Kreis. „Man kann sich auch auf andere Weise Fachinformationen aneignen.“ Lobbyismus verzerre das Meinungsbild der Wähler, ist er überzeugt. Neus Fraktion ist moderater: In einem Papier hält sie fest, dass Lobbyisten als Informationsquellen durchaus nützlich seien und Politik auf seriöse Beratung von außen angewiesen sei. Es komme indes auf die Art der Einflussnahme an. Deshalb seien strengere Richtlinien für Lobbyisten nötig.

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