Digitalmedizin Neuer Studiengang der Uni Bonn soll Landärztemangel bekämpfen

Düsseldorf · Die Universitäten Bonn und Siegen erproben einen gemeinsamen Studiengang: Die „Hochleistungsmediziner“ aus Bonn und die Technikfans aus Siegen wollen zeigen, wie mit Digitalmedizin der Landärztemangel bekämpft werden kann.

Mobile Praxen auf dem Land und hochmoderne digitale Diagnostik in einem Klinikzentrum - die Universitäten Bonn und Siegen erproben in einem gemeinsamen Studiengang neue Wege in der Humanmedizin. Ein Kernziel: die schwindende medizinische Versorgung auf dem Land stoppen und angehende Akademiker für neue Facetten des Landarztberufs begeistern.

Das Modellprojekt könne mit seinem digitalen Schwerpunkt ein innovatives Berufsbild aufzeigen, erläuterte der Rektor der Universität Siegen, Prof. Holger Burckhardt, am Mittwoch in Düsseldorf. „Der alte Landarzt mit der 75-Stunden-Woche stirbt aus“, stellte er fest.

Bisher sähen Landärzte, die neben dem Beruf auch noch ein Privatleben haben wollten, häufig nur eine Lösung: „Viele nehmen nur noch Privatpatienten.“ Mit der in Bonn und Siegen forcierten Entwicklung von Tele- und Digitalmedizin könne sich das radikal ändern: „Künftig braucht keiner mehr 70 Stunden in der Praxis zu sitzen.“

Zusammengefunden haben zwei auf den ersten Blick sehr ungleiche Partner. Bonn: „Ein forschungsaffiner ausgewiesener Standort der Hochleistungsmedizin in Deutschland“, wie Rektor Prof. Michael Hoch, unterstreicht. Siegen: Ohne medizinische Fakultät, dafür stark in den technischen Bereichen der Tele- und Nanomedizin, Informatik und Robotik.

Der neue Studiengang beginnt im Wintersemester 2018/19 mit den ersten 25 Studierenden. Jedes Jahr sollen 25 weitere dazu kommen. In den ersten sechs Semestern wird die klassische vorklinische und klinische Ausbildung in Bonn absolviert. Ab dem siebten Semester geht es dann weiter nach Siegen, wo sich vier Partnerkliniken um die weitere Ausbildung der Studierenden kümmern. An der Uni sollen sie dann durch Wahlpflichtmodule aus der Medizin-Informatik lernen, wie die Digitalisierung den Beruf des Arztes verändern wird.

„Man wird in der Zukunft eine ganz andere Art von Analytik haben“, erläuterte Prof. Hoch. „Man wird mit Blut- und anderen Proben ganz andere Dinge voraussagen und Risiken bestimmen können.“ Die Vision sei aber gerade nicht eine weitgehend entmenschlichte Medizinversorgung, sondern das Gegenteil: Die digitale Hochleistungsdiagnostik soll mehr Zeit schaffen für das Gespräch zwischen Arzt und Patient. „Das soll in den Mittelpunkt rücken.“

Vier mobile Praxen, die das Land bereisen sollen

Dabei kommt die zweite Komponente des Bonn-Siegener Modells ins Spiel: „Wir werden vier mobile Praxen auf den Weg schicken, die das Land bereisen und feste Sprechstunden anbieten“, kündigt Prof. Burckhart an.

Dort könnten medizinische Daten der Patienten erhoben und an ein „Oberzentrum“ der vier Kliniken weitergeleitet werden. „Dort wird dann entschieden: Braucht der Patient sofort eine weitere ärztliche oder pflegerische Versorgung oder sollte er sogar ins Krankenhaus gehen?“.

Die Studierenden sollen hier bereits eingebunden werden: „In Siegen gibt es nicht nur Mediziner-Ausbildung am Bett“, unterstrich der Rektor. Für das Modellprojekt sei der Standort perfekt: „Siegen ist das Reallabor. Wir sind eine ländliche Region mit einer alternden Bevölkerung und einem massiven Rückgang sowohl an Bevölkerung als auch an Landärzten.“ Gleichzeitig steige mit der Überalterung der Bedarf an medizinischen Leistungen.

Die Telemedizin könne einen Teil des Landärzteproblems aufwiegen, berichteten Wissenschaftler beider Universitäten: So könnten Ärzte heute schon über die Computerkamera in den Rachen eines Patienten schauen, um eine erste Diagnose über eine möglicherweise behandlungsbedürftige Halsentzündung vorzunehmen. Ein Parkinson-Patient könne mit IT-gestützten Armbändern überwacht oder der Blutzuckerspiegel eines Diabetes-Patienten per App eingestellt werden.

Für Studierende biete der neue Studiengang ein attraktives Gesamtpaket, unterstrichen die Rektoren. Mit dem Erasmus Medical Center Rotterdam sei einer der weltweit renommiertesten Medizin-Standorte beteiligt. Ab dem Wintersemester 2019/20 sollen zudem nicht mehr allein die Abiturnoten über die Zulassung entscheiden, sondern auch persönliche Gespräche und Motivation. Und sogar für die Unterkunft der Studierenden in Siegen wollen Uni und Klinken sorgen - ebenso wir für Stipendien.

Nach fünf Jahren soll das Modellprojekt auf den Prüfstand. Prof. Hoch ist vom Erfolg überzeugt: „Das kann Bedeutung für die gesamte Bundesrepublik gewinnen.“ Das Land will für die Initiative jährlich bis zu 6,5 Millionen Euro bereitstellen.

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