Burg Vogelsang Kleine Herrenmenschen aus der Eifel

Bonn · Ein ehemaliges nationalsozialistisches Schulungszentrum wird zum Ort historischer Bildung. In einer neuen Ausstellung wird die Ausbildung von NS-Funktionären in den 30er Jahren dokumentiert.

 Ein Überbleibsel nationalsozialistischen Größenwahns in neuer Form: Die Luftaufnahme zeigt die Anlage oberhalb des Urftsees.

Ein Überbleibsel nationalsozialistischen Größenwahns in neuer Form: Die Luftaufnahme zeigt die Anlage oberhalb des Urftsees.

Foto: Franz Küpper

Am 5. Dezember 1972 verurteilt das Landgericht Arnsberg den Angeklagten Ludwig Romeis zu zwei Jahren Haft wegen der Beihilfe zur Ermordung polnischer Juden. Romeis, von der deutschen Besatzungsmacht in Polen installierter Leiter des Wohnungsamtes in Jaslo, hatte vorgeschlagen, dass die Opfer bei ihrer Deportation 1942 in ein Kloster gesperrt werden, so dass sie nicht fliehen konnten. Nach Überzeugung der Arnsberger Richter kannte er die „grausame Ausführung und das Ziel“ der Vernichtungsaktion, der er die Festgenommenen preisgab.

Der NS-Täter Romeis hatte die Grundlage für seine Laufbahn in der Nordeifel gelegt. In den Jahren 1936 und 1937 hatte er an einem Parteilehrgang teilgenommen, zunächst im westfälischen Erwitte, dann auf Burg Vogelsang. Später gehörte Romeis der Verwaltung dieser „Ordensburg“ an, bis er zum Kriegsdienst eingezogen und dann in die Verwaltung des „Generalgouvernements“ versetzt wurde. Er habe den „kleinen Herrenmenschen“ spielen wollen, attestierten ihm seine Richter.

„Bestimmung: Herrenmensch“ ist der provozierende Titel der neuen Dauerausstellung, die die Geschichte von Vogelsang im Nationalsozialismus zeigt. Ein Titel, den Ausstellungsleiter Stefan Wunsch doppelsinnig verstanden wissen möchte: „Es geht um das, was in Vogelsang gewollt war – aber auch darum, was die Betroffenen daraus machten.“

Rund 2000 Männer durchliefen die Ausbildung in den NS-„Ordensburgen“, in denen gar kein „Orden“ ansässig war, sondern unter der Regie des NSDAP-Personalchefs Robert Ley und seiner „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) Funktionärsschulung betrieben wurde. Ley, Herr über das beschlagnahmte Vermögen der Gewerkschaften und über Zwangsbeiträge von 22 Millionen DAF-Mitgliedern, erschloss sich mit diesen Mitteln immer neue Einflussfelder und plante in gigantischen Dimensionen.

Mehr als einen Kilometer lang ist die Burganlage, und die bestehenden Bauten sind nur ein Bruchteil dessen, was Leys Architekt Clemens Klotz errichten sollte. Teile, so der ehemalige Hörsaal, wurden im Krieg zerstört. Die Ausstellung zeigt Fragmente eines NS-Hoheitsadlers aus dem Bauschutt – und sie legt ganz gezielt in Trümmer, was die Nationalsozialisten als große Inszenierung planten. Dokument für Dokument wird akribisch erläutert. Bild Nr. 1053 zeigt den „kleinen Herrenmenschen“ Romeis bei der Sichtung jüdischen Eigentums.

Bewerben konnte man sich für die Ausbildung in den „Ordensburgen“ – neben Vogelsang gab es Krössinsee im heute polnischen Teil Pommerns und Sonthofen im Allgäu – nicht, Kandidaten mussten von NSDAP-Gliederungen vorgeschlagen werden. Die Kriterien der Auswahl waren ebenso willkürlich wie die Prinzipien der Ausbildung. „Ganze Kerle“ sollten es nach NS-Auffassung sein, berichtet Klaus Ring, wissenschaftlicher Referent der NS-Dokumentation Vogelsang. Körperliche Kräfte zählten, Sport wurde kultisch zelebriert. Seit 1937 war der Kölner Boxer Hein Müller als Sportlehrer in Vogelsang angestellt.

„Ihr wollt hart werden! Also schlagt Euch die Birne weich“, beschrieben seine Schüler die Methoden. Die Ausstellung erinnert daran ebenso wie an die pseudoreligiösen Inszenierungen. Zwar ist der einstige „Weiheraum“ im Burgturm heute leer, die Kolossalplastik des „Deutschen Menschen“ verschwunden, aber die Ausstellungsmacher präsentieren Bilder und Schriftstücke über nationalsozialistische Namengebungs-, Hochzeits- und Trauerfeiern. Unter Vogelsang-Junkern gehörte es zum guten Ton, aus der Kirche auszutreten, gern gruppenweise in Uniform vor dem Amtsgericht Gemünd.

Die „ganzen Kerle“ von Vogelsang waren meist Handwerker, Arbeiter oder kleine Angestellte und in der Regel schon Mitte 20, wenn sie ihre Ausbildung antraten. Versprochen wurden ihnen Aufstiegschancen bis in höchste Ränge – tatsächlich reichte es nur für die niedere Funktionärsebene. Mit der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs 1939 brach Leys System zusammen, die Lehrgangsteilnehmer mussten an die Front, den auf bis zu vier Jahre geplanten Durchlauf durch alle „Burgen“ hatte keiner absolviert. Die Vogelsanger Bauten wurden als Lazarett, für „Adolf-Hitler-Schulen“ und als ziviles Krankenhaus genutzt.

Rund 200 ehemalige Ordensburgangehörige spielten als deutsche Gebietskommissare, also Quasi-Landräte, oder deren „Stabsleiter“ in Osteuropa eine teils kriminelle Rolle. Ein erschütterndes Foto zeigt die vom früheren Vogelsanger „Hundertschaftsführer“ Georg Marschall, Gebietskommissar im ukrainischen Sdolbuniw, willkürlich angeordnete Hinrichtung eines jüdischen Tischlers. Marschall wurde dafür 1960 zu lebenslanger Haft verurteilt, in einem Wiederaufnahmeverfahren blieben von der Strafe nur fünf Jahre.

Der Ex-Vogelsanger Gerhard Erren wurde wegen der Ermordung von 15.000 Juden im weißrussischen Gebiet Slonim 1974 zu lebenslanger Haft verurteilt, der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung aber aus formalen Gründen auf. Der in Krössinsee ausgebildete Franz Murer war einer der Hauptverantwortlichen für die Ermordung der Juden von Vilnius. Er wurde in der UdSSR zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, 1955 nach Österreich überstellt und blieb dort straffrei.

Bestimmung Herrenmensch? Die Ausstellungsmacher konstruieren keinen Automatismus. Zwar zitieren sie am Eingang plakativ das letzte Flugblatt der Weißen Rose über die Erziehung der „künftigen Parteibonzen auf Ordensburgen zu gottlosen, schamlosen, gewissenlosen Ausbeutern und Mordbuben“. Dennoch: Es komme auf jeden Einzelfall an, betont Ausstellungsleiter Wunsch. Eine systematische Auswertung der Biografien steht noch aus. Doch würdigt die Ausstellung auch ein unerwartetes Beispiel: Helmut Morlok, kein Ex-„Junker“, aber Vogelsanger Adolf-Hitler-Schüler, dem in der Kriegsgefangenschaft die Augen aufgingen. Er wurde zum leitenden Architekten der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz.

Begleitband zur Ausstellung:Klaus Ring, Stefan Wunsch (Hg.), Bestimmung: Herrenmensch. NS-Ordensburgen zwischen Faszination und Verbrechen. Sandstein Kommunikation, 384 S., 38 Euro

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