Der neue Vize-Ministerpräsidenten im Gespräch Interview mit Joachim Stamp

Bonn · Der Bonner Joachim Stamp (FDP) war zu Oppositionszeiten der schärfste Kritiker des damaligen Innenministers Ralf Jäger (SPD). Jetzt hat er als neuer Familienminister Teile aus Jägers Ressort übernommen.

 Bei Abschiebungen nach Afghanistan sei er „zurzeit extrem zurückhaltend“, sagt der neue Integrationsminister Joachim Stamp in seinem ersten Interview als Minister.

Bei Abschiebungen nach Afghanistan sei er „zurzeit extrem zurückhaltend“, sagt der neue Integrationsminister Joachim Stamp in seinem ersten Interview als Minister.

Foto: Barbara Frommann

Warum sind Sie mit Ihrem Hintergrund und Ihrer Erfahrung im Amri-Untersuchungsausschuss nicht Innenminister geworden?

Joachim Stamp: Ich übernehme aus dem Innenministerium aus diesem Grund die ausländerrechtliche Abteilung. Die Aufgabe als Familien- und Integrationsminister ist mir ein besonderes Anliegen, zum Beispiel die Stärkung der frühkindlichen Bildung in den Kitas, gerade im U3-Bereich.

Was wird Ihre erste Amtshandlung sein?

Stamp: Wir werden ein Programm zur Rettung der Kita-Träger auf den Weg bringen. Sonst ist zu befürchten, dass viele von ihnen 2018/19 aus der Finanzierung der Kitas aussteigen und Einrichtungen schließen müssen.

Die Finanznot ist groß – auf wie viel Geld können sich die Träger freuen?

Stamp: Es wird ein substanzieller Beitrag sein, mehr möchte ich dazu noch nicht sagen. Wir wollen zudem das Kinderbildungsgesetz (Kibiz) überarbeiten und die Qualität der Betreuung deutlich verbessern. Zum Beispiel wollen wir die Sprachförderung der Vierjährigen verbindlicher machen. Die ist leider unter der Vorgängerregierung vernachlässigt worden.

Mehr als jedes fünfte Kind in NRW ist arm. Was wollen Sie dagegen tun?

Stamp: Rot-Grün ist am eigenen Anspruch „Kein Kind zurücklassen“ gescheitert, deshalb werden wir das Programm auch so nicht weiterführen. Es war ein Fehler der Vorgängerregierung, die eigenen Pläne mit zu vielen markigen Überschriften zu versehen. Statt mit ähnlichen Überschriften zu kontern, brauchen wir flächendeckende Strukturen, um Kindern so viele Chancen zu ermöglichen, wie es geht.

Ein Beitrag zu mehr Chancengleichheit könnten drei beitragsfreie Kita-Jahre sein.

Stamp: Priorität hat die Verbesserung der Betreuungsqualität. Für die nächsten Jahre bleiben wir dabei, dass zunächst nur das letzte Kita-Jahr beitragsfrei bleibt, aber langfristig streben wir das an.

Im Koalitionsvertrag versprechen Sie auch eine Flexibilisierung der Öffnungszeiten. Wird es künftig Über-Nacht-Kitas geben?

Stamp: Da, wo es notwendig ist, etwa weil die Eltern Schichtarbeit leisten, wird es Kitas geben müssen, die über Nacht geöffnet sind. Ich denke beispielsweise an das Einzugsgebiet großer Kliniken. Das heißt aber nicht, dass Eltern ihre Kinder 24 Stunden abgeben können.

Sie haben für die FDP auch den Bereich Inneres mitverhandelt. Die FDP wollte die Schleierfahndung nicht, also verdachtsunabhängige Kontrollen. Erklären Sie, was der Unterschied zu der „strategischen Fahndung“ ist, die Sie der CDU in den Vertrag geschrieben haben.

Stamp: Wir wollen keine willkürlichen Kontrollen. Wichtig ist uns, dass es immer einen klaren Anlassbezug gibt.

Ein Beispiel?

Stamp: Wenn die Polizei Hinweise hat, dass in einem konkreten Bereich mit bestimmten weißen Autos Diebesgut transportiert wird, kann ein jedes solches Auto verdachtsunabhängig durchsucht werden.

Also doch verdachtsunabhängig?

Stamp: Aber zwingend anlassbezogen.

So einen Anlass kann man ja schnell konstruieren.

Stamp: Nein, der wird gesetzlich klar definiert. Es müssen Tatsachen vorliegen, die diesen Anlass rechtfertigen.

Wie sieht es aus, wenn ein Nordafrikaner unter Verdacht gerät, einen Anschlag geplant zu haben. Kann man dann alle Nordafrikaner kontrollieren?

Stamp: Nein. Es gibt eine räumliche und zeitliche Begrenzung. Für uns als Rechtsstaatspartei ist wichtig, dass es keine Willkür gibt und verfassungs- sowie europarechtliche Vorgaben eingehalten werden.

Wird es Landesmittel geben, damit Marokko oder Algerien ihre Landsleute zurücknehmen?

Stamp: Das werden wir in Ruhe prüfen müssen. Ich habe das Ziel, dass wir diese Szene in den Griff bekommen.

Wie stehen Sie zu Abschiebungen nach Afghanistan?

Stamp: Da bin ich zurzeit extrem zurückhaltend. Es gibt derzeit offenbar kein Gebiet, wo dies zu vertreten ist. Wir sollten uns zuerst ein Bild vor Ort machen. Aber es gilt auch: Ein generelles Rückführungsverbot ist das beste Argument für die Schlepper. Die sagen dann: Ihr braucht nur einmal nach Deutschland zu kommen, dann seid ihr durch. Bei allem, was wir hier machen, dürfen wir nicht der Schlepperpropaganda Vorschub leisten.

Als Minister sind Sie auch für die „Salafistenfront“ zuständig. Wo sehen Sie Schwerpunkte?

Stamp: Wir brauchen den Zweiklang aus Repression und Prävention. Das rot-grüne Programm „Wegweiser“, mit dem verhindert werden soll, dass Jugendliche in den Salafismus geraten, ist zu schleppend ausgebaut worden. Wir müssen aber auch konsequent gegen die Tarnorganisationen vorgehen, die sich zum Beispiel in der Nachfolge der Koranverteilungsbewegung „Lies“ entwickelt haben. Eine besondere Herausforderung ist auch, auf den Strategiewechsel des IS zu reagieren, der stärker das Signal sendet: Bleibt im Land und verübt dort Anschläge.

Werden Sie sich dafür einsetzen, dass Imame in den Moscheen auf Deutsch predigen?

Stamp: Das werden wir nicht verordnen können. Es gibt ja in den Kirchen auch lateinische Messen. Aber alles, was zu einer stärkeren Orientierung an der deutschen Gesellschaft führt, werden wir unterstützen.

Wie soll die Zusammenarbeit mit der türkischen Religionsbehörde oder der Ditib weitergeführt werden?

Stamp: Ich bin verärgert über viele Funktionäre der Ditib, auf der anderen Seite wird in vielen Ditib-Gemeinden, gerade in der Seelsorge, Großartiges geleistet. Wir müssen die reformorientierten Kräfte stärken.

Die Kita-Rettung kostet Geld, der Wechsel von G8 zu G9 auch. Der Polizei und den Kommunen soll geholfen werden. Wie bezahlen Sie es?

Stamp: Das ist eine Frage der Prioritätensetzung. Durch Bürokratieabbau zum Beispiel können wir eine Menge einsparen. In den Koalitionsverhandlungen haben wir unsere politischen Ziele auf Finanzierbarkeit geprüft.

Welche denn?

Stamp: Darüber werden wir im Rahmen der Haushaltsaufstellung beraten. Die Schuldenbremse wird auf jeden Fall eingehalten.

Profitieren Sie von den sprudelnden Steuereinnahmen und von den Neuregelungen in den Bund-Länder-Beziehungen oder werden Sie auch substanziell sparen?

Stamp: Natürlich werden wir auch sparen und uns etwa von einigen Förderprogrammen trennen müssen.

Wollen CDU und FDP Nordrhein-Westfalen mit Blick auf die Bundestagswahl als Referenzmodell für den Bund entwickeln?

Stamp: Wir wollen eine gute Politik für Nordrhein-Westfalen machen und wenn uns das gelingt, hätte das Strahlkraft. Aber wir sind eine eigenständige Partei und machen eigenständig Politik.

Sie haben über Armin Laschet gesagt: „Ich mag ihn persönlich.“ Was mögen Sie an ihm?

Stamp: Dass er ein humorvoller, pragmatisch denkender und unkomplizierter Mensch ist, der Dinge nicht ideologisch überhöht, aber mit einem klaren Wertekompass ausgestattet ist. Wir werden anders regieren als die bisherige Koalition.

Was hat Sie da gestört?

Stamp: Dass auf sachliche Fragen der Opposition von manchen Regierungsmitgliedern mit ungeheurer Arroganz geantwortet wurde.

Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann galten wegen Ihres guten Verhältnisses als Hanni und Nanni. Wie wird das bei Laschet und Ihnen?

Stamp: Das müssen andere beurteilen. Uns verbindet, dass wir mit Demut an die Sache herangehen und keine großspurigen Ankündigungen machen. Wir wollen Schritt für Schritt und in aller Ruhe die Dinge konstruktiv abarbeiten, die wir im Vertrag verhandelt haben.

Mit Stamp, der auch Vize-Ministerpräsident ist, sprachen Kirsten Bialdiga, Bernd Eyermann, Raimund Neuß und Kai Pfundt.

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