Interview: Gerd Landsberg vom Städte- und Gemeindebund "Ich glaube nicht, dass der Anreiz nur das Geld ist"

Über das Problem der Flüchtlinge aus Balkanländern sprach mit Gerd Landsberg, dem Hauptgeschäftsführer des deutschen Städte- und Gemeindebundes, unser GA-Redakteur.

 "Kein Missbrauchsproblem": Gerd Landsberg.

"Kein Missbrauchsproblem": Gerd Landsberg.

Foto: BERNHARDT LINK

Ist das aktuelle Flüchtlingsproblem zum großen Teil ein Missbrauchsproblem?

Gerd Landsberg: Eindeutig nicht. Wir haben eine Vielzahl von Bürgerkriegsflüchtlingen, die zu Recht unseren Schutz erwarten.

Sieht das bei Flüchtlingen vom Balkan nicht anders aus?

Landsberg: Wir haben eine klare Rechtslage. Jeder kann einen Asylantrag stellen, auch wenn er wahrscheinlich kaum Aussicht auf Erfolg hat. So ist das bei den Balkanflüchtlingen zu 99 Prozent, aber das heißt nicht, dass dies ein Missbrauch ist.

Was ist Ihr Vorschlag, um der Situation Herr zu werden?

Landsberg: Ich glaube, dass die Balkanflüchtlinge - sie machen 40 Prozent aller Flüchtlinge aus - die einzige Gruppe sind, wo wir etwas steuern können. Die Regierungen der Balkanländer, die in die EU wollen, sagen selbst, dass sie eigentlich sichere Herkunftsländer sind und dass sie nicht wollen, dass gerade ihre jungen Leute weggehen. Für diese Länder kann ich mir ein Programm vorstellen.

Von welchen Ländern reden wir?

Landsberg: Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien sind bereits sichere Herkunftsländer, hinzukommen müssten Albanien, Kosovo und Montenegro.

Kern des Programms wäre ...

Landsberg: ... ein Marshallplan der EU für diese Region. Er müsste Arbeitsplätze schaffen, Investitionen tätigen und so die Lebensbedingungen der Menschen deutlich verbessern.

Wissen die Menschen, dass ihre Asylanträge kaum eine Chance haben?

Landsberg: Die Bundesregierung informiert zwar, aber noch nicht intensiv und flächendeckend genug. Die Menschen dort wissen häufig nicht, dass sie keine Aussicht auf Bleiberecht und Arbeit in Deutschland haben. Im Gegenteil: Die Schlepper belügen sie in diesem Punkt.

Abgelehnte Asylbewerber kommen wieder. Hilft dagegen die Verhängung einer Wiedereinreisesperre?

Landsberg: Eine Wiedereinreisesperre kann einen Drehtüreffekt vermeiden, dass die gleichen Personen nach Ablehnung wieder einreisen. Wir sollten den Entschluss fassen, alle Balkanländer und Albanien zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Das führt zu einer Beschleunigung der Asylverfahren.

Ist der wirtschaftliche Anreiz zu hoch? Ist es zu attraktiv, nach Deutschland zu kommen?

Landsberg: Ich glaube nicht, dass der Anreiz nur das Geld ist. Der Anlass sind die furchtbaren Lebensverhältnisse, die dort herrschen. Natürlich ist es objektiv in Deutschland besser, aber das kann halt nicht die Lösung sein. Deswegen muss diesen Menschen in ihren eigenen Ländern eine Perspektive geschaffen werden.

Sind die Anreize nicht dennoch zu hoch?

Landsberg: Man muss die Anreizfunktion, die unsere Leistungen haben, überprüfen. Etwa das Taschengeld, rund 150 Euro im Monat. Einige Bundesländer zahlen das für mehrere Monate im Voraus. Ein Polizist im Kosovo verdient im Monat 250 Euro, also ist das ein Anreiz. Ich will nicht, dass diese Menschen überhaupt kein Bargeld mehr bekommen, aber man sollte es überprüfen und gegebenenfalls in Teilen durch Sachleistungen ersetzen. Das ist vernünftig. Wenn man dann noch deutlich schnellere Verfahren hinbekäme, wäre die Lage entspannter.

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