Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki Ein Kardinal wagt neue Wege

Köln · In seinem ersten Jahr als Erzbischof von Köln hat Rainer Maria Woelki einiges verändert: im Stil, in der Themensetzung und der Organisation.

 Vor einem Jahr: Joachim Kardinal Meisner gibt am 20. September 2014 den Bischofsstab weiter an den neuen Kölner Oberhirten, Rainer Maria Kardinal Woelki.

Vor einem Jahr: Joachim Kardinal Meisner gibt am 20. September 2014 den Bischofsstab weiter an den neuen Kölner Oberhirten, Rainer Maria Kardinal Woelki.

Foto: dpa

Der Mann ist ein Freund der deutlichen Aussprache. "Solange in hohen, wohltemperierten Empfangshallen der Bank- und Versicherungskathedralen noch schicke Designersofas auf Kundschaft warten, sollte sich doch für Flüchtlingsfamilien eine menschenwürdige Schlafgelegenheit finden lassen" - keine zwei Monate war Rainer Maria Kardinal Woelki Erzbischof von Köln, als dieses Bischofswort zur Flüchtlingshilfe durch die Medien ging. Im November 2014 war das, zu einem Zeitpunkt, als viele Politiker noch gar nicht erfasst hatten, welche Herausforderung da auf das Land zukam. Seither hat Woelki mehrfach nachgelegt.

Scharfe Worte gegen Pegida ("das Abendland verteidigen wir nicht, indem wir die Schotten dicht machen"), ein bistumsweites Totengeläut für 23 000 im Mittelmeer umgekommene Flüchtlinge, die Forderung nach "Globalisierung der Nächstenliebe", aber auch: klare Ansage hinsichtlich der Rückführung von Asylbewerbern aus Balkanländern, die aus wirtschaftlichen, nicht aus politischen Gründen hier sind.

Wenig, fast beängstigend wenig Widerspruch

An diesem Sonntag ist es ein Jahr her, dass Woelki, bis dato Erzbischof von Berlin, sein neues Kölner Amt antrat. Seither erntet er wenig, fast beängstigend wenig Widerspruch. Ja, die Kölner Sozialdezernentin Henriette Reker - seinerzeit noch nicht OB-Kandidatin - warf dem Erzbistum Ende 2014 vor, den Worten nicht genug Taten folgen zu lassen. Und ein Grünen-Politiker der zweiten Garnitur stört sich an Äußerungen zu Balkan-Flüchtlingen.

Aber davon abgesehen erlebt der Kardinal das für hohe katholische Würdenträger seltene Gefühl einer fast allgemeinen Zustimmung. Ob Woelki auf dem Kölner Roncalliplatz für die Rettung von Bootsflüchtlingen wirbt oder ob er in aller Diskretion eine Flüchtlingsfamilie im Priesterseminar unterbringt: Er setzt in einer zentralen humanitären Frage die Agenda. Die katholische Kirche ist nicht mehr in der Defensive. Was für ein Wandel!

Woelki hat aus Fehlern gelernt

Bisher lief das Spiel doch so: Kritiker nagelten Kirchenvertreter auf irgendeine Stelle im Katechismus fest - zu Zeiten von Joachim Kardinal Meisner gab es dazu idealerweise noch ein schroffes Bischofswort -, dann begann das Erklären und Einordnen. So etwas haben Interessenverbände auch mit Woelki versucht, aber nur einmal - vor seiner Kölner Zeit.

2011, als Woelki gerade zum Erzbischof von Berlin ernannt worden war, hielt man ihm eine Äußerung über Homosexualität als Widerspruch zur Schöpfungsordnung vor. Woelki hat daraus gelernt. Er traf sich mit Vertretern von Schwulen- und Lesbenverbänden. Er äußerte seine Achtung davor, wie Partner in gleichgeschlechtlichen Beziehungen füreinander sorgen. Das war übrigens noch zu Zeiten des strengen Papstes Benedikt, als Reformüberlegungen in Rom noch nicht so gut ankamen wie heute unter Franziskus.

Ähnlich geht Woelki bei anderen bewährten Streitthemen vor - ohne sich beispielsweise beim Umgang mit wieder verheirateten Geschiedenen wirklich festzulegen. Vielmehr nimmt er diese Themen einfach von der Tagesordnung. Jahrelang war die Debatte zwischen "Konservativen" und Reformern in der Kirche geradezu neurotisch auf die Sexualität fixiert. Woelki zeigt, wie viele wichtigere Aufgaben die Kirche hat.

Der Kardinal - FC-Fan, gebürtiger Kölner mit ostpreußischen Wurzeln -, der im August seinen 59. Geburtstag gefeiert hat, wirkt immer noch ein wenig jungenhaft. Es gehört ja auch zum Charme der katholischen Hierarchie, dass dort noch ein junger Mann ist, wer im Wirtschaftsleben allmählich mit der Ruhestandsplanung beginnen würde. 2012, als Woelki zum Kardinal erhoben wurde, war er der jüngste Purpurträger weltweit, heute ist er immer noch der jüngste Kardinal Europas. Der Habitus älterer Hierarchen ist ihm fremd, er hält seine Wohnung selbst in Ordnung, kauft seine Brötchen persönlich und fuhr vor seiner Amtseinführung erst einmal dorthin, wo er aufgewachsen ist: in die Bruder-Klaus-Siedlung im Kölner Stadtteil Mülheim.

Überzeugungstäter" in punkto Frauenförderung

Wer partout Kritisches über den Erzbischof hören will, bekommt es am ehesten von altgedienten Mitarbeitern seines Verwaltungsapparats zu hören. Da fühlen sich viele vor den Kopf gestoßen und fragen, ob man als Mann beim Erzbistum überhaupt noch etwas werden kann.

Denn der Kardinal hat etliche Führungskräfte entmachtet und zwei Schlüsselpositionen, die bisher Priestern vorbehalten waren, mit Frauen besetzt: Petra Dierkes leitet die Hauptabteilung Seelsorge im Generalvikariat, Bernadette Schwarz-Boenneke ist Chefin der Hauptabteilung Schule/Hochschule. Woelki sieht sich als "Überzeugungstäter" in punkto Frauenförderung. Und wieder hat er die Spielregeln verändert: Er lässt sich nicht auf Debatten auch nur über die Diakonenweihe von Frauen ein, sondern zeigt, dass Macht in der katholischen Kirche nicht ans geistliche Amt gebunden sein muss.

Viele Priester haben jetzt eine Chefin. Und der Priesterrat, der dem Erzbischof bisher zur Seite stand, spielt nur noch eine nachgeordnete Rolle. Stützen will sich Woelki auf ein neues Gremium, den Pastoralrat, dem auch Laienseelsorger und Ehrenamtler angehören werden. Aber wird der Kardinal auf dieses Gremium auch hören?

Wer nun allerdings auf ein Kirchenregiment mit vielen Beschlussvorlagen und Mehrheitsvoten hofft, sollte bedenken: Die bisherigen Veränderungen hat Woelki mit sich selbst abgemacht. Bei aller Volksnähe weiß er sehr genau, wer er ist: katholischer Bischof, also Herr im Hause, nur dem lieben Gott und dem Papst gegenüber zu Rechenschaft verpflichtet. Katholische Revolutionen kommen von oben.

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