Koalition in NRW Die Politik mit dem Scheckbuch stößt an Grenzen

DÜSSELDORF · Halbzeit. Wer Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in diesen Wochen erlebt, spürt, dass die erste Hälfte der rot-grünen Wahlperiode keine Erfolgsgeschichte war. Pleiten, Pech und Pannen belasten die Bilanz der rot-grünen Landesregierung von Nordrhein-Westfalen.

 Rot-grüner Handschlag: Hannelore Kraft und Grünen-Chefin Sylvia Löhrmann besiegeln 2010 ihr Bündnis.

Rot-grüner Handschlag: Hannelore Kraft und Grünen-Chefin Sylvia Löhrmann besiegeln 2010 ihr Bündnis.

Foto: dpa

Starken Ankündigungen im Koalitionsvertrag folgten bislang oft nur bescheidene Taten. Nicht nur die Finanzpolitik wirkt orientierungslos - auch Regierungschefin Hannelore Kraft macht nicht deutlich, in welche Richtung sie das Land führen will.

Die Regierung Kraft reagiert derzeit mehr, als dass sie regiert. Dabei profitiert Rot-Grün noch von den hohen Popularitätswerten der volkstümlichen und bürgernahen Ministerpräsidentin.

Weil die Angst vor einem drohenden wirtschaftlichen Abschwung die Koalitionäre erfasst hat, schwärmen die Minister gerade im ganzen Land aus, um das öffentliche Bild über die Regierung aufzuhellen. Die Staatskanzlei hat die Parole festgelegt: Lasst uns mehr über Erfolge reden. Zweieinhalb Jahre nach der Landtagswahl ist der optische Eindruck aber stark verbesserungswürdig.

Mit dem Kampf für den Soli-West geht Ministerpräsidentin Kraft in diesen Tagen in die Offensive. Im Januar will die Regierung ihre Pläne für eine Agenda bis 2017 präsentieren. Da sehen auch politische Unterstützer wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) noch Luft nach oben.

Achillesferse der Regierung Kraft bleibt die Finanz- und Haushaltspolitik. Vom Ziel eines Haushalts ohne neue Schulden im Jahre 2020 hat sich Rot-Grün in diesem Jahr mit dem Anstieg der Neuverschuldung auf 3,2 Milliarden Euro wieder ein Stück weit entfernt. Vier verfassungswidrige Haushalte in Folge, der höchste absolute Schuldenstand aller Länder - es ist nicht erkennbar, wie die Vorgaben der Schuldenbremse erfüllt werden sollen. Von der größten Sparmaßnahme, der doppelten Nullrunde für höhere Beamte, blieb nach dem Veto der Verfassungsrichter nur ein Torso: Statt 700 Millionen Euro Einsparung im Jahr, wurden es am Ende nur 220 Millionen. 2015 stehen die Pensionen und Beihilfen der Beamten auf dem Prüfstand.

Sozialpolitisch hat Kraft Schwerpunkte gesetzt. Nach der Abschaffung der Studiengebühren, der Einführung des beitragsfreien dritten Kindergartenjahres und dem kräftigen Ausbau der Kita-Plätze für Unter-Dreijährige hat Kraft auch mehr Ganztagsangebote an Schulen finanziert. Das Projekt "Kein Kind zurücklassen" braucht Zeit. Die "Politik mit dem Scheckbuch" stößt aber angesichts leerer Kassen hart an Grenzen.

Mit dem Hochschulzukunftsgesetz ist Wissenschaftsministerin Svenja Schulze bei Rektoren, Professoren und Unternehmen kräftig angeeckt. Schulze will mehr übers Ministerium steuern. Das erschwert die zuletzt positive Entwicklung der Hochschulen.

In der Bildungspolitik hat Rot-Grün 2014 den Rechtsanspruch auf Inklusion durchgesetzt. Behinderte und nichtbehinderte Kinder haben Anspruch, in der Regelschule unterrichtet zu werden. Das schnelle "Experiment" hat bei Gewerkschaften, Lehrern und Opposition Kritik ausgelöst, weil viele Schulen nicht vorbereitet sind. Kraft hat ihr Versprechen aber eingelöst.

Der Wirtschaftskurs bleibt unklar. Mit dem Tariftreuegesetz, dem Landesentwicklungsplan und dem geplanten Klimaschutzgesetz werden für die Wirtschaft neue Hürden errichtet. Gleichzeitig verspricht die Ministerin aber, der Industrie Flankenschutz zu bieten. Bei Unternehmensgründungen liegt Nordrhein-Westfalen weit hinten, bei Energiekosten und Öko-Auflagen vorn. Die Krise der großen Energiekonzerne im Land belastet die Einnahmen-Bilanz der Düsseldorfer Regierung.

Das strikte Nichtraucherschutzgesetz hat heftige Debatten ausgelöst. Am Ende hat Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) die Proteste aber ausgesessen. Mit dem Feldzug gegen die E-Zigarette ist die grüne Ministerin allerdings vor Gericht gescheitert. Der angekündigte Abbau Tausender Klinikbetten dürfte in Zukunft für reichlich Krach sorgen.

In der Flüchtlingspolitik haben die Misshandlungen von Asylbewerbern in Unterkünften in Burbach, Bad Berleburg und Essen bundesweit Negativschlagzeilen erzeugt. Auch die Hooligan-Krawalle nährten Zweifel an Innenminister Ralf Jäger (SPD).

In der Umweltpolitik hat der durchsetzungsstarke grüne Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) seine Ankündigung für eine ökologische Jagdreform umgesetzt. Die breite Ablehnung der Jäger ficht Remmel bislang nicht an. Auch die Kritik an den geplanten Windrädern im Wald kommt für den Minister nicht unerwartet.

Verkehrspolitisch sind Staus, 270 marode Autobahnbrücken, kaputte Straßen und überlastete Pendlerzüge für Minister Michael Groschek (SPD) eine kaum zu bewältigende politische Hypothek. Das Transitland Nordrhein-Westfalen kämpft zu Recht um mehr Bundesgeld zur Sanierung der Infrastruktur.

In der zweiten Hälfte der Wahlperiode steht Rot-Grün vor dem schwierigen Spagat, bei fehlenden Mitteln die notwendige Modernisierung des Landes voranzubringen. Mit der erneuten Anhebung der Grunderwerbsteuer hat NRW die letzte eigene Patrone abgeschossen. Ohne zusätzliche Finanzhilfen vom Bund ist die Schuldenbremse 2020 aber kaum machbar. Rot-Grün wird bis zur nächsten Landtagswahl 2017 drastischer kürzen müssen als bisher. Wie es aussieht, bleibt für weitere Wahlgeschenke wie die beitragsfreie Kita keine Luft mehr. Nicht ausgeschlossen, dass die Verteilungskämpfe in Nordrhein-Westfalen in den nächsten Jahren härter werden als bisher.

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